Rote Post #22

Posted: Dezember 12th, 2019 | Author: | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #22

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Bremen

SPALTUNG UND SCHIKANE DER ARBEITERKLASSE IM CALL-CENTER

Unsere Klasse hat viele Probleme. Klar, das ist was der Imperialismus für uns mit sich bringt. Eines davon ist für viele der niedrige Lohn, der uns für unsere harte Arbeit vom Chef am Ende des Monats ausgezahlt wird. Ein anderes ist die ganze Schikane und Spaltung, die auf der Arbeit häufig auf der Tagesordnung stehen. Wir wissen, dass diese Probleme keine besonderen Bremer Probleme sind. Es sind Probleme, die es überall gibt. Wir haben in Bremen einen Kollegen aus einem Call-Center getroffen, welcher uns von den Missständen bei ihm auf der Arbeit erzählt hat. Der Call-Center arbeitet mit unterschiedlichen Firmen zusammen und erledigt den Kundenkontakt sowie die Abwicklung von Reklamationen. Je nach Kunde, also je nach Auftrag bekommen die Arbeiter unterschiedlich viel Lohn. Man hat nicht in der Hand, wo man landet, und so kann es auch mal passieren, dass man unter das bisherige Lohnniveau absinken kann.

Für ihre Arbeit an diesem Projekt bekommen die Kollegen als Grundlohn weniger als den Mindestlohn! Die Chefs versuchen es damit zu rechtfertigen, dass man sich Provisionen erarbeiten uns so darüber hinaus verdienen kann. Doch die Zahlung des Mindestlohns – dass haben sich die Herrschenden doch selbst auf die Fahne geschrieben – ist verpflichtend. Das heißt, die Agentur hält sich nicht mal an diese Regel! Das Machtverhältnis wird hier uns Arbeitern gegenüber immer wieder klar gestellt, und sie versuchen, uns an der kurzen Leine zu halten. Nützliche Untertanen sollen wir sein, die für jeden Krümel dankbar sind. Aber wehe, man lässt auf der Arbeit einen Kugelschreiber mitgehen oder loggt sich trotz attestierter Krankheit 15 Minuten zu spät ein! Man kann auch trotz attestierter Krankheit für unangemeldetes Fernbleiben abgemahnt werden. Alles schon vorgekommen. Dass kann seitens der Ausbeuter schon als Diebstahl / Betrugsversuch gewertet werden – das „Vertrauensverhältnis“ sei „zerstört“. Aber wenn es um die einzige Ware geht, die wir anzubieten haben – unsere Arbeitskraft – wird das nicht so genau genommen! Sich juristisch dagegen zu wehren ist mühselig. Neben einem Vollzeitjob und anderen Verpflichtungen noch zum Anwalt gehen, hoffen, dass man sich einen leisten kann? Ohne zu wissen, ob man überhaupt gewinnt? Im Arbeitsrecht bekommt man keinen Anwalt gestellt. Man muss den Anwalt bezahlen, egal ob man gewinnt oder verliert. Sollte man gewinnen, muss man die Anwaltskosten nachher von eingeklagten Summe bestreiten. Wurde einem Unternehemen im Prozess der Diebstahl / Betrug uns gegenüber festgestellt, gibt es maximal, im Falle einer Sammelklage vieler Arbeiter gegen das Unternehmen, einen Klaps auf die Finger! Keine Festnahmen, keine Hausdurchsuchungen. Das heißt, die dürfen mit uns machen, was sie wollen. Wir dürfen da nicht halb blind hinschielen und es uns gefallen lassen. Wenn so pedantisch jeder Kugelschreiber gezählt wird, aber nicht unser Lohn, dann verstehen wir, wer hier noch an der Macht ist.

Spaltung

Wie uns der Kollege berichtete, wurde er nicht genügend für das Projekt geschult und nur mangelhaft mit Zugang zu Programmen ausgestattet. Unter ständigem Zeitdruck sollen er und seine Kollegen in einem gewissen Zeitfenster die anrufenden Kunden abfertigen und dabei den Überblick zwischen mehreren Bedienmasken auf dem Bildschirm behalten. Ob man seinen Job gut erledigen kann und will, scheint nicht entscheidend zu sein. Was ist, wenn ein Kunde etwas mehr Beratung und Hilfe braucht, bis das Problem gelöst ist? Im Akkord nur fünf Minuten pro Kunden und dann weiter zum nächsten, ansonsten bekommt man eine schlechte Bewertung. Das führt leider auch dazu, dass die Kollegen unter sich ausmachen müssen, dass der Laden weiterhin irgendwie läuft. Wenn ein frischer Kollege seinen Job unter diesen Voraussetzungen nicht gut hinbekommt, muss ein anderer Kollege das wieder gerade biegen. Zum Beispiel falsch abgespeicherte Datensätze mit fehlenden und falschen Informationen. Das passiert halt, weil man nach zwei Wochen noch kein Profi ist. Das kann nicht funktionieren! Es gibt dann Kollegen, die fit sind und sich verantwortlich fühlen und die Fehler ausbügeln. Was durch diese Situation vermittelt wird: „Du musst härter arbeiten, weil deine Kollegen zu blöd oder zu faul sind“. Eine Entsolidarisierung also. An dieser Stelle lassen sich grundsätzlich zwei Charaktere unterscheiden. Solche, die herzensgute Kollegen sind (auch wenn es ihnen vielleicht gar nicht bewusst ist, damit Klassencharakter zeigen; dazu gleich mehr), und solche, die sich gegen uns und dadurch gegen sich selbst stellen.

Drangsalierung durch die Vorarbeiter

Die Telefongespräche werden aufgezeichnet und einmal pro Tag wird ein Gespräch von einem Vorarbeiter abgehört. Wenn man in dem Moment nicht top in Form war, wird einem eine mangelnde Haltung und Motivation vorgeworfen. Mann kann den Rest des Tages gute Arbeit abgeliefert haben. Aber wenn dieses eine Gespräch nicht den Vorstellungen das abhörenden Vorarbeiters entspricht (Zitat des Interviewten: „Einzelherrschaft“), dann bekommt man „einen auf den Deckel“ – das teilweise vor versammelter Belegschaft. Man wir gedemütigt. Es sei denn, man ist ein Speichellecker. Dann muss die Leistung auch nicht so stimmen. Untertanen, die sich fügen sind erwünscht. Ein Klima der Intrigen und Lästereien sorgt für Cliquenbildung. Wenn man nicht zu den Losern gehören will, muss man sich fügen. Kollegen verpetzen kann auch dienlich dazu sein. Lieber schießen als in die Schusslinie zu geraten. Vorarbeiter und Projektleiter können während der Arbeitszeit Privatkram bequatschen und alle fünf Minuten eine Rauchen gehen. Das ist parasitär: Wenn nicht Leute, welche sie schikanieren, ernsthaft arbeiten würden, würde der Betrieb gar nicht erst funktionieren. Der Kapitalismus hat „kein anderes Band zwischen sich Mensch und Mensch übrig gelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose „bare Zahlung“, schreibt Karl Marx im Manifest der kommunistischen Partei. Vom Standpunkt der Geldmachens ist das Verhalten dieser Vorarbeiter also sogar schädlich. Das ist doch eigentlich das, worauf sich vertraglich geeinigt wird. Das, was man auf der Arbeit macht, damit man sich ein Dach über dem Kopf leisten kann.

Müssen sich Arbeiter untereinander etwas so rückschrittliches antun, wie mit persönlichen Machtbeziehungen Untertanen zu halten, die bloß nicht auch noch in die Schusslinie von Mobbing geraten wollen? Nein! Wir haben die Wahl und wir entscheiden uns für den Fortschritt! Nicht jeder Arbeiter mit mehr Verantwortung, Projektleiter oder Vorarbeiter sind genau so drauf. Wie geschrieben gibt es auch fitte, korrekte Kollegen, welche die Haltung an den Tag legen, dass man den Arbeitsauftrag zusammen hinbekommt und verstehen, dass man nicht faul oder blöd ist, wenn man nach zwei Wochen Betriebszugehörigkeit noch Fehler macht. Ein gemeinschaftliches Denken also, dass man das zusammen hinbekommt. An diesen Kollegen sollte man sich ein Beispiel nehmen.

Die Ausbeuter reiben sich die Hände

Hier profitieren die, die ganz oben in der Nahrungskette stehen davon, dass die Arbeiter sich untereinander in die Haare kriegen. Als vereinte Arbeiterklasse, welche das feindliche, ausbeuterische Interesse uns gegenüber erkennt, sollen wir nicht sein. Wir werden mit mangelnder Vorbereitung auf unseren Posten geschickt. Es interessiert nicht, ob der Arbeitsaufwand überhaupt zu bewältigen ist. Wenn Sachen schief laufen, müssen die etwas fitteren, welche sich verantwortlich fühlen, die Fehler der Arbeitskollegen ausbügeln, was zu Frustration und Entsolidarisierung unter den Kollegen führt. An dieser Stelle muss man verstehen, dass wir als Klasse zusammen stark sind. Dass man sich nicht vorgaukeln lassen darf, dass der Kollege, der nach zwei Wochen noch kein Profi ist, ein faules Schwein ist. Derjenige, der uns in die Lage drängt, mit ganz mageren Mitteln Wunderwerke zu schaffen ist der Feind. Auch die besser gestellten Kollegen müssen sich unbedingt überlegen, ob es eine gute Idee ist, sich gegen die eigenen Leute zu stellen und sich dann noch darüber aufzuregen, dass alle immer so bleibt, wie es ist. Das ist inkonsequent! Dieses unsolidarische Verhalten trägt doch mit dazu bei! Wer solche Kollegen hat, braucht keine Ausbeuter mehr! Man hat die Wahl, sich mit den Kollegen zu vereinen und für den Fortschritt einzustehen.

Die beschriebenen Situationen und Phänomene kommen nicht nur in diesem Call-Center vor, sondern auch in anderen Betrieben. So ist das in der Diktatur der Bourgeoisie! Das wird aber nicht immer so bleiben! Denn es verstehen immer mehr Leute, dass wir als Klasse vereinigt unschlagbar sind. Wie lange werden wir uns noch vom Wahlzirkus und kümmerlichen Krümeln hinhalten lassen? Die Arbeiter müssen sich vereinen, sich treffen und sich organisieren. Die Kollegen müssen sich gegenseitig unter die Arme greifen und verstehen: Das sind meine Verbündeten im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung!


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