Rote Post #1
Posted: Februar 1st, 2018 | Author: Norah | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #1Die gesamte Ausgabe als Download
HAMBURG
Alkohol macht unsere Leute kaputt
Alkohol ist in unserer Klasse ein sehr großes Problem. Die Arbeiterklasse ist jeden Tag Aggressionen und ekelhaften Arbeitsbedingungen, Demütigungen und Schikanen, Armut und sich daraus ergebenden Konflikten in der Familie oder mit Freunden ausgesetzt. Um damit umzugehen, wird sich schon mal der Kopp zugekippt. Dies schadet nicht nur dem eigenen Körper, sondern zieht oft das ganze soziale Umfeld mit in den Abgrund. Trotzdem ist Saufen gesellschaftlich akzeptiert, im Gegensatz zu anderen illegalen Drogen, bei denen sich alle in der Ablehnung einig sind, was den Umgang schwieriger macht. Hier wird an verschiedenen Beispielen diese Problematik dargestellt. Das sind keine Antworten, sondern Anreize nachzudenken.
Ich bin mit Rahid im Hamburger Osten zusammen auf eine Schule gegangen. Rahid war in meiner Parallelklasse. Auf einer Party haben wir uns kennen gelernt. Er war von Anfang an ein feiner Typ. Seine Eltern lebten getrennt und sein Vater war, wie wir immer gescherzt haben „eine Schnapsnase“. Auch Rahid hat da schon gut zum Alkohol gelangt. Als wir uns nach Jahren wieder gesehen haben, erzählte er mir das seine Mutter gestorben war. Seine Schwester ihn mit dem Erbe übers Ohr gehauen hat und er nun ganz alleine da steht. Er kam mit dem Tod seiner Mutter nicht klar und hatte keine Kraft mehr seine Ausbildung weiter zu machen. Sein Ausbilder hat ihn dann dazu gedrängt einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. So kam eins zum anderen. Er hat wegen des Aufhebungsvertrages keine Kohle vom Amt bekommen und das soziale Umfeld war auch nicht mehr vorhanden. Nun steht nicht nur der Alkohol auf der Tagesordnung, sondern auch Drogen wie zum Beispiel Koks. Seit dem hat Rahid es nicht mehr geschafft sein Leben in die Hand zu nehmen, versinkt immer weiter in Alkohol und Drogen. Diese Gesellschaft hat ihn kaputt gemacht, was mich sehr traurig macht, und lässt ihn vor die Hunde gehen, keiner hilft. Das macht mich wahnsinnig wütend.
Jörg aus Hamburg Horn wusste nie was er wirklich werden möchte. Soll er etwas machen was ihm Spaß macht oder was Gesellschaftlich anerkannt ist und ein bisschen mehr Geld einbringt. Oder doch lieber beides, aber wie geht das eigentlich und wie kommt man da am besten ran. Also fing Jörg an eine Ausbildung zu machen. Viele sagten, darauf kannst du dir was Aufbauen.
„Gesagt – getan“ hat Jörg sich gedacht. Leider war dem nicht so. Aus den Wochenendbesäufnissen und der Enttäuschung aus der vermasselten Karrierechance ist ein dauerhafter Alkoholkonsum geworden. Zwischenzeitlich haben Jörg und seine Frau ihr zweites Kind bekommen. Der finanzielle Druck ist gestiegen und die Jobsuche war erfolglos. Mittlerweile ist aus dem problematischen Alkoholkonsum Frustsaufen geworden. Jörg hat nie aufgegeben und hat einfach noch eine Ausbildung gemacht. Nun ist es so, dass aus dem Frustsaufen eine handfeste Depression geworden ist. Ängste wurden mehr und die Aussichten schlechter. Jörg hat zwar selbst gemerkt wie schlecht es ihm geht, wie es ihm immer schlechter ging, aber den Weg da raus hat er noch nicht gefunden. Er kämpft jeden Tag gegen die Ängste an und versucht seine Probleme nicht mit Alk zu lösen. Er hat Freunde und Genossen, die an seiner Seite stehen. Die ihm klare Ansagen machen. Jörg wird es schaffen, davon bin ich überzeugt, denn er steht nicht alleine vor diesem unbarmherzigen, menschenfressenden deutschen Imperialismus.
David ist ein Arbeitscollege von mir. Er hat mir von seiner gar nicht so schönen Kindheit erzählt, er lebte mehrere Jahre in einem Kinderheim. Er verstand nie warum seine Eltern in dort hin gebracht haben. Diese Fragen hat ihm nie jemand beantwortet. Warum haben gerade seine Eltern vor den alltäglichen Unzumutbarkeiten kapituliert, und warum musste gerade ihn dieses Schicksal treffen? Er hat seine schlechte Kindheit nie verarbeitet. Die Fragen bohren in seinem Kopf. Falsche Freunde haben ihn dazu gebracht seine Gefühle im Alkohol zu ertränken. Sie waren es auch, die ihm den ersten Joint angeboten und die erste Line aufgeschwatzt haben. Dadurch hatte er enorme Probleme vor allem wegen des Geldes und Stress mit den Bullen. Heute trinkt er und nimmt täglich Koks. Schon vor Arbeitsbeginn fängt er an zu trinken, damit er den Tag überhaupt überstehen kann. Er kommt klar, auch wenn er jeden Tag mehr kaputt geht. Er hat dadurch auch mehrere Arbeitsstellen verloren und seine Ehe stellt er jeden Tag auf eine harte Probe. Das ist kein Einzelfall. Bei uns im Viertel gibt es viele wie David. Die meisten Leute sind wenig daran interessiert. Sie haben ihre eigenen Sorgen und Nöte. Seine Freunde machen den gleichen Scheiß wie er. Er weiß, dass er aufhören muss – so einfach und so kompliziert ist das.
Fikret und seine Frau kenne ich von der Arbeit. Sie wohnen hier im Viertel. Fikret ist Sohn von türkischen Arbeitsmigranten und Mira ist Zigeunerin. Sie werden seit ihrer Kindheit drangsaliert, von den Deutschen, von denen denen es besser geht, aber besonders von den Bullen. Das hat sie zusammengebracht. Die beiden haben zwei Kinder. Der Große macht eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, die Kleine geht noch zur Schule. Die Familie ist sehr arm. Immer wieder wurde ihnen die Stütze gekürzt oder gestrichen, weil sie Termine nicht wahrgenommen haben oder weil sie Arbeitsverträge gekündigt haben. Den beiden geht es wirklich schlecht. Dazu kommt, dass die SAGA die Wohnung verschimmeln lässt und wenn die was machen, dann setzt es sofort eine Mieterhöhung. Beide haben gesoffen, sehr viel, schon morgens, wenn sie die Kinder zur Schule gebracht haben. Da stand Mira mit den anderen Kaputten von hier auf dem Parkplatz vom LIDL und hat sich vollgekippt. Hier sind wir weit ab vom Schuss, das Viertel liegt am Hamburger Stadtrand, es gibt es nicht viele Orte an denen man sich treffen kann, auch wenn das Problemviertel viele Maßnahmen über sich hat ergehen lassen müssen – darum treffen sich viele auf dem LIDL Parkplatz, die Alkis, die Lumpen und auch andere, da kriegt man Kontakt, der in den Hochhausbunkern oft vermieden wird, man mag die Leute nicht zu weit ins eigene Leben lassen. Aber das ist eine andere Sache. Mira hat dann, wenn sie ihren Pegel erreicht hatte, ihren Sohn zur Schule gebracht. Das fiel natürlich irgendwann auf. Sie roch nach Alkohol, lallte, kam regelmäßig zu spät und konnte manchmal nicht mehr geradeaus gehen. Die Schule hat sich eingeschaltet. Aber die „Hilfe“ die die Familie bekam, war nichts außer dass sie das Sorgerecht für ihren Sohn los waren. Damit wurde die Situation noch viel schlimmer. Sie hatten keinen mehr, um den sie sich kümmern mussten und verkamen immer mehr in der Eintönigkeit ihrer Existenz. Den Frust haben sie aneinander ausgelassen, Gewalt war Alltag in ihrer Beziehung. Dann wurde ihre Tochter geboren. Das hat Vieles geändert. Fikret hat aufgehört zu trinken und sich einen Job gesucht. Er geht jetzt putzen, 9 Stunden jeden Tag. Auch Mira hat eine Arbeit gefunden. Beide machen sich 24/7 den Rücken krumm. Sie haben immer noch große Probleme, aber den Suff haben sie besiegt. Sie haben sich entschieden. Das war für die beiden nicht leicht, sondern schwer, aber sie kämpfen sich durch. Ich glaube die beiden sind ein gutes Beispiel dafür, dass, egal wie groß die Hindernisse sind, wie gewaltig und unlösbar die Probleme auch erscheinen mögen, „der Wille Berge versetzen kann.“