Rote Post #59

Posted: Februar 25th, 2023 | Author: | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #59

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Hamburg

Kita-Streik in Hamburg

Am 1. November haben sich mehr als 2.200 Kita-Beschäftigte am Dammtorbahnhof in Hamburg zu einer Kita-Demo versammelt. Obwohl die Demo erst um 17.30 Uhr losgehen sollte, war schon ab 17 Uhr eine ausgelassene Stimmung um den Verdi-Lautsprecherwagen wahrzunehmen, von der man sich aber nicht täuschen lassen sollte. Wir haben auf der Demo mit zahlreichen Kita-Mitarbeitern über ihre Arbeitsbedingungen und Zukunftsprognosen gesprochen und dieser Artikel zeigt auf, dass ausnahmslos alle Befragten keine Hoffnungen in die bisherigen und zukünftigen Maßnahmen des Staates haben und durch ihre tägliche Arbeitssituation teilweise schon seit Jahrzehnten belastet sind.

Es fehlt seit langem an Plätzen und Personal in Hamburger Kitas. Die Erzieher und Erzieherinnen leiden unter dem Personalmangel und zu großen Gruppenstärken. Sie stehen unter Druck, oft bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihren Erziehungsauftrag nicht korrekt ausüben zu können. Belastungsbedingt und durch die Corona-Pandemie fallen die Erzieher häufiger aus, und die Folge ist: Noch mehr Personalmangel! „Die Arbeit gleicht eher einem Durchhaltewettbewerb, bei dem man sich von Tag zu Tag entlanghangeln muss“, schildert ein Erzieher. Die katastrophale Personalsituation führt laut Angaben der Erzieher und Erzieherinnen zu „Massenabfertigung“, dazu, dass keine individuelle Arbeit mehr möglich ist, sondern nur „Schadensbegrenzung“ beim Managen „des großen Haufens an Kindern“.

Es heißt, es gäbe kein Geld für zusätzliche Kita-Kräfte. In der gesamten BRD würden diese ca. vier Milliarden Euro kosten. Anstatt, dass dieses Geld zur Verfügung gestellt wird, wird in diesem Bereich massiv gekürzt. Sprachfachkräfte werden in Hamburg ab 2023 höchstwahrscheinlich nicht mehr an Kitas arbeiten können, auch wenn sie einen notwendigen Job machen (in der Realität haben sie aber oft einfach Personallücken gefüllt). „Die ‚Elbkinder‘ werben gerade gezielt Personal aus Italien an. Diese sprechen kein sicheres Deutsch. Außerdem finden sich in allen Kitas gerade vermehrt Mitarbeiterinnen aus der Ukraine, auch deren Sprachkenntnisse sind nicht immer fließend. Und gleichzeitig wird die Förderung der Sprachkitas genau jetzt abgeschafft. Das passt nicht zusammen, das ist falsch!“, erklärt uns eine Erzieherin der „Elbkinder“. Diese bemängelt zudem, dass sie durch ihren Berufsweg des Studiums der Pädagogik den Beruf „aufwerten“ wollte, aber nun erlebt, dass so wenig Personal zur Verfügung steht, dass es darauf hinauslaufen wird, dass immer mehr ungelernte, „unqualifizierte“ Menschen in den Job kommen.

Eine Konsequenz der Einstellung von italienischem, ukrainischem und ungelerntem Personal ist, dass die Bezahlung für den Beruf geringer ausfällt, als bei „qualifizierten“ Kräften aus der BRD. So spart der Staat auch hier Geld für den Erziehungssektor. Wir dürfen uns jedoch nicht spalten lassen, denn die Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem Ausland haben genau so ein Interesse daran, dass eine bedürfnisorientierte Betreuung der Kinder gewährleistet wird.

Der Haushalt der BRD gleicht mit den genannten Sparmaßnahmen direkt einen Teil der 100 Milliarden Euro Militärausgaben wieder aus. Das ist die Wahrheit und der Zusammenhang, vor dem wir nicht die Augen verschließen dürfen. Die Militarisierung und die Kriege der Imperialisten werden in Zukunft dafür sorgen, dass auf der ganzen Welt keine Gelder mehr in den sozialen Bereich fließen werden. In einer Krippengruppe sollten ungefähr vier Kinder auf eine Erzieherin kommen, und in einer Kindergartengruppe ab dem Alter von drei Jahren sollten nicht mehr als sieben Kinder von einer Erzieherin betreut werden. „Ich war 13 Jahre im Beruf und steige jetzt aus. Ich wehre mich gerade sehr aktiv gegen die Zustände auf der Arbeit. Ich musste häufig zu zweit auf 25 Kinder aufpassen. Außerdem wird keinem Erzieher hier in Hamburg die Vor- und Nachbereitungszeit für die Angebote, die wir gestalten, auf die Arbeitszeit angerechnet, während das in anderen Bundesländern teilweise der Fall ist“, berichtet ein Erzieher, dem der Job eigentlich Spaß macht, aber der aufgrund der Umstände keine Perspektive mehr für sich in der Kita sieht.

Alle Interviewpartner haben uns berichtet, dass zu viele Kinder auf zu wenig Erzieher kommen. Dass der Betreuungsschlüssel von 1:4 oder 1:7 jemals in die Realität umgesetzt wurde, konnte uns von keinem einzigen Kollegen bestätigt werden. „Früher hatten wir durchschnittlich viel mehr Kinder, die acht Stunden lang betreut werden mussten. Seit dem ‚Kita-Gutschein-System‘ wird aber vielen Eltern nur ein 6-Stunden-Gutschein gewährt. Das gibt unserer Kita weniger Stunden, also rückwirkend auch weniger Möglichkeit, Personalstellen auszuschreiben. Dann haben wir nicht 1:7 bei einer Gruppe von Ein- bis Sechsjährigen, sondern 1:9,5“, erzählt eine Erzieherin erzürnt über die täglichen Arbeitszustände. „Kitas sind Wirtschaftsinstitutionen geworden. Seitdem es die ‚Kita-Gutscheine‘ gibt, werden ‚8-Stunden-Kinder‘ lieber genommen; die meisten bekommen aber nur sechs“, sagt eine Erzieherin. Das Kita-Gutschein-System in Hamburg bedeutet, dass die Eltern beim Amt für soziale Dienste ihre Arbeitszeiten einreichen müssen – aufgrund dessen wird dann die Betreuungszeit von der Behörde bestimmt.

Es ist eine Frage der Prioritäten und der Werte. Der BRD geht es nicht um die Würde des Menschen, sondern um Profit!“, demaskiert eine Erzieherin den Staat. Gleichzeitig kritisiert sie den Charakter der Demonstration: „Fakten und Tatsachen muss man klarer benennen. Viele Beiträge, die auf dem Lautsprecherwagen gehalten worden, waren zu wohlwollend“. Lösungsvorschläge von den Erzieherinnen sind unter anderem, dass man den Beruf durch eine viel bessere Bezahlung – die teilweise der der Lehrer gleichkommt – aufwerten muss, und, dass die Gruppengröße endlich den Vorgaben entspricht. Aber gleichzeitig merkt eine Mitarbeiterin an: „Wir müssten viel mehr Kitas eröffnen, um mit kleineren Gruppen die Kinder versorgen zu können, die einen Kitaplatz brauchen!“ Das bedeutet: Alleine in Hamburg werden nächstes Jahr 3.700 Kita-Plätze mehr gebraucht, wenn nun ein Erzieher wirklich nicht mehr als vier bzw. sieben Kinder betreuen darf, und dann braucht es viel mehr Erzieher und Erzieherinnen, mehr Räume und Möglichkeiten, die Kinder zu betreuen. Aber der Neubau von Kitas steht erst gar nicht zur Debatte.

Schon vor 30 Jahren war ich – noch als Mutter – auf der Straße, um für bessere Bedingungen in der Kita zu demonstrieren, es hat sich nichts geändert“, „Ich war in dieser Woche auf drei Demos und es passiert einfach nichts“, „Wir glauben, es wird sich nichts ändern“, „Das, was hier stattfindet, ist zu wenig. Die Zustände in der Kita werden weiter den Bach runtergehen. Ungelerntes Personal und schlecht ausgestattete Kitas sind schlechte Bedingungen für diesen Beruf und die Kinder“, sind nur einige Aussagen über die Zukunft der Kitas in diesem Land. Eine Rolle im Alltag der Kitas spielen auch die Hauswirtschafterinnen. Bei den „Elbkitas“ ist momentan eine Hauswirtschafterin für die Betreuung einer Kita zuständig. Da nun 120 Fachkräfte abgebaut werden sollen, müssen in Zukunft bis zu sieben Kitas von einer Fachkraft betreut werden. „Ihr sollt schneller reinigen und schneller kochen, um das in Zukunft zu bewältigen, wurde uns auf der Vollversammlung der ‚Elbkinder‘ gesagt. Das ist ein Skandal!“, beschwert sich Hauswirtschafterin Bärbel bei ihrer Rede auf dem Lautsprecherwagen bei der Abschlusskundgebung um 19 Uhr. Die Azubi-Sprecherin Kathy berichtet bei der Abschlussrede davon, dass Auszubildende gar kein Geld bekommen: „Wie soll ich meine 100-Euro-Mieterhöhung noch decken? Es will doch keiner mehr Erzieher werden, wenn es so weitergeht.“

Die Demonstrationsteilnehmer sind enttäuscht vom herrschenden System, sie wissen, dass Erziehung und die Wichtigkeit ihrer Tätigkeit in diesem Staat keine hohe Priorität haben. Das sollte kein Grund sein, enttäuscht die Füße still zu halten, sondern Grund, die Wut in eine kämpferische Perspektive umzuwandeln und dem Zerfall dieses Systems ins Auge zu sehen. Es gilt, ein neues System aufzubauen, dass uns und den Interessen des Volkes dient.


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