Rote Post #30

Posted: September 3rd, 2020 | Author: | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #30

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BREMEN

NEUE AUFGABEN – DREI MASSENKÄMPFE IN BREMEN

Wir befinden uns in mitten der größten ökonomischen Krise des Imperialismus seit Ende des 2. Weltkriegs, wie nicht allzu wenige bürgerliche Politiker und Ökonomen betonen. Überall schießen neue Kämpfe der Massen aus dem Boden, für die Revolutionäre in der BRD gibt einen Berg neuer Aufgaben. Die Situation ist – das ist keine Übertreibung – so explosiv, dass manchem die Orientierung verloren geht. Daher wollen wir an dieser Stelle drei lokale Beispiele geben, welche unterschiedlichen Formen die Kämpfe der Massen haben können und wie die Revolutionäre in ihnen wirken und ihren Blick für sie schärfen können. Schaffen es die Revolutionäre nicht, die mannigfaltigen gerechtfertigten Forderungen der Massen aufzugreifen und mit dem gesamten Kampf des Proletariats und des Volkes zu verbinden, werden sie den Massen hinterher laufen.
Kioske gegen den neuen Ausnahmezustand

Beginnen wir mit der Situation im Steintorviertel. Mitte Juni verhängte Innensenator Ulrich Mäurer für Bremens „Ausgehzonen“ eine Sperrstunde, mit einem einhergehenden Verkaufs- und Ausschankverbot von Alkohol für Kioske und Supermärkte in diesen Gebieten am Wochenende. Und ganz plötzlich wurde in der bürgerlichen Lokalpresse auch mal über die Situation im Viertel berichtet, allerdings nur in Form von Diffamierung der Feiernden als „Corona-Idioten” usw. und als Stimmungsmache für die Sperrstunde. Mäurers Plan ist nun also nicht, die Lage im Viertel eskalieren zu lassen, sondern eine Bullenbesetzung im Steintorviertel

„Politik der Nadelstiche”. Der Ausnahmezustand wird offiziell etwas gelockert, dafür wird die Sperrstunde eingeführt, die Bullenpräsenz im Viertel abermals erhöht, gleichzeitig dürfen Polizei und Ordnungsamt in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die Maskenpflicht kontrollieren. Eine faktische Normalisierung des Ausnahmezustands, der durch dezentralisiertere Maßnahmen gewährleistet wird.

Nun zu der Situation der Kioske. Besonders zwischen dem Ziegenmarkt und der Sielwallkreuzung ist der Verkauf der Läden (und das sind nicht wenige) aufgrund der hohen Frequentierung durch Feiernde am Wochenende auf alkoholische Getränke ausgerichtet. Und die bekommen die Sperrstunde jetzt richtig zu spüren, gerade als es wieder etwas bergauf ging. Und die meisten im genannten Bereich sind sich sicher: Wenn das jetzt länger so durchgezogen wird, dann gehen sie pleite. Ist das nicht genau das, was in dieser Krise die ganze Zeit geschieht? Die Kleinen zerstören, die Großen stärken.

Was bedeutet das für die Entwicklung des Kampfes im Steintorviertel? Wir haben viele kleine Gewerbetreibende, die Angst um ihre Läden haben, sich von der Politik verarscht fühlen und das auch offen so sagen. Gegen die Vertreibung der ansässigen Läden, gegen die Schikane auf den Straßen, gegen die Spaltung (Kneipen und Lokale gegen Kioske, alte konservativere gegen neue Kneipen, alle gegen die „Biertrinker auf der Kreuzung“). Revolutionäre schrieben in diesem Sinne in einem Flugblatt, das von vielen betroffenen Kiosken aufgehangen und ausgelegt wurde:

„…Doch Fakt ist, dass die Sperrstunde nur der erste Schritt war. Was noch folgt, wissen wir noch nicht. Bisher sind die Kneipenwirte z.B. noch nicht so sehr betroffen von den aktuellen Maßnahmen. In Kneipen darfimmerhin weiter Alkohol ausgeschenkt werden. Doch es ist gut möglich, dass sich die nächsten Schritte gegen die Kneipen richten. Wenn man sich in der jetzigen Situation spalten lässt, tut man der Bremer Regierung und den großen Unternehmen nur einen Gefallen. Doch wenn man zusammensteht, ist man tatsächlich in der Lage, sich gegen ihre Maßnahmen zu wehren…”

So wird die Spaltung zwischen den unterschiedlichen Gewerbetreibenden zurückgewiesen, die die Stadt ausnutzen will und gleichzeitig der Kampf der Kioskbetreiber mit dem Kampf gegen den Ausnahmezustand verbunden.

Polizeimord in Gröpelingen

Inmitten der angeheizten Lage erreichte uns eine traurige und erzürnende Nachricht aus Gröpelingen. Bei einer Zwangsräumung seines Kellers am 18. Juni wurde der 54-jährige Marokkaner Mohamed I. von Bullen erschossen. Mohamed hatte psychische Probleme, so starke, dass er oft nicht einmal mehr seine eigene Tochter erkennen konnte. Er brauchte Hilfe und hat sie nicht bekommen. Bei der Räumung rückten vier junge Polizisten, zwei davon in zivil, an. Auf einem Video, dessen Weiterveröffentlichung die Polizei zu unterlassen gebeten hat, zeigt sich das gesamte Vorgehen: Mohamed steht, durch die angerückten Bullen, die Schusswaffen auf ihn richten, offensichtlich eingeschüchtert mit einem Messer in der Hand im Innenhof. Er wird durch die nervösen Beamten in eine Ecke getrieben, aus der es keinen Ausweg für ihn gibt. Ihm wird Pfefferspray ins Auge gesprüht, er verliert die Orientierung, läuft vor dem Reizgas fliehend in Richtung Polizei und bekommt zwei Schüsse in den Bauch. Im Krankenhaus stirbt er an den Verletzungen. Seine Nachbarn beschreiben Mohamed als zurückgezogen, aber als immer nett und zuvorkommend, nie war er ihnen gegenüber aggressiv.

Eigentlich lässt das Video nicht viele Fragen offen. Die Klatschblätter diffamieren Mohamed trotzdem, ähnlich wie schon den genau ein Jahr zuvor in Essen ermordeten Adel B., als „nordafrikanischen Messermann“. Doch diese Lügenkampagne wurde durch ein Bündnis unterschiedlicher Kräfte zurückgeschlagen. Es wurden schnell kleinere Kundgebungen organisiert, gefolgt von einer größeren Demonstration in der Innenstadt, an der sich ca. 350 Leute beteiligten – organisiert von der Initiative „Justice for Mohamed“, mit der Tochter und der Schwägerin von Mohamed. Dabei wurde das viele, was im speziellen Fall aber auch im allgemeinen falsch läuft, denunziert. Warum schicken die Bullen ausgerechnet zu einem psychisch Kranken ihre jungen, unerfahrenen Leute, warum bis an die Zähne bewaffnet? Warum kommt stattdessen nicht ein Psychologe? Die Kapazitäten sind da. Warum wollen sie die Weiterveröffentlichung des Videos verhindern und gehen jetzt gegen die Person vor, die das Video im Internet veröffentlicht hat? Und wäre das genauso bei einem Deutschen im Bonzenviertel Schwachhausen passiert? Diese Gewalt richtet sich gegen unsere Klasse, insbesondere gegen die tiefsten und breitesten, d.h. oft migrantischen, Massen. Hier müssen die Revolutionäre unmittelbar den Kampf entwickeln. Was bisher gefehlt hat, ist, den Kampf dort auszutragen, wo er hingehört: In Gröpelingen. Die Massen, die ein bisschen mehr von der Geschichte mitbekommen haben, verstehen: Er war einer von uns. Die Parole „Gerechtigkeit für Mohamed!“ muss darum hochgehalten werden, um die mörderische Gewalt der Bullen in den Arbeitervierteln zu denunzieren und um gegen die weitere Militarisierung der Arbeiterviertel zu kämpfen.

Kein Schutz für Spielplätze

Die Frage der Spielplätze haben wir in der letzten Ausgabe bereits angerissen. Ein Schwein legt seit Wochen auf zahlreichen Bremer Spielplätzen Messer aus, die so angebracht sind, dass sie Kinder tödlich verletzen können. Die Polizei kann immer noch keine konkreten Ermittlungsergebnisse aufweisen. Die „SoKo Spielplatz“,die eigentlich für den Fall gegründet wurde, sucht stattdessen lieber nach jemandem, der Drohschreiben an bürgerliche Parteien in Bremen verschickt. Dabei waren Polizei und Ordnungsamt noch zu Beginn des Ausnahmezustands im März und April in der Lage die gesperrten Spielplätze zu überwachen und zahlreiche Strafen gegen Verstöße auszusprechen. Aber jetzt, wo ein Irrer Kinderleben gefährdet, geht das nicht mehr. Sie können die feiernden Leute am Sielwall schikanieren, die können uns in den Arbeitervierteln schikanieren, die können uns erschießen, sie können Spielplätze im Zuge der Aufstandserprobung überwachen und Jugendliche verscheuchen. Aber wenn es darum geht, nachts Spielplätze für die Sicherheit unserer Kinder zu beobachten — Fehlanzeige! Das müssen die Revolutionäre denunzieren. Anderswo herrschen vermehrt noch Illusionen über die „Gutmütigkeit” der Bullen, aber in den Arbeitervierteln haben die meisten Eltern auf den Spielplätzen die Schnauze voll. In Gesprächen mit Müttern vor Ort äußerten sie noch andere Probleme, die sich um die Frage der Spielplätze in den Arbeitervierteln drehen, z.B. der Müll oder die Drogendealer, die sich hier teilweise einrichten.

Zur Forderung nach sicheren Spielplätzen schrieb das Rote Frauenkomitee Bremen in einem Flugblatt, das bei Müttern in Gröpelingen verteilt wurde:

„Die Polizei hängt Zettel mit Warnungen an Spielplätzen auf. Angeblich wollen sie die Spielplätze mehr bewachen, aber was ist passiert? Statt aktiv die Spielplätze zu überprüfen, stellen die Bullen unnütze Behauptungen über den möglichen Täter auf. Das hilft uns aber nicht weiter. Die Spielplätze müssen systematisch nach Messern kontrolliert und geschützt werden. Aber statt dafür genügend Personal bereitzustellen, werden lieber zahlreich Polizisten ins Steintorviertel oder in die Arbeiterviertel geschickt, um die Menschen dort zu schikanieren. Auch hatten die Bullen anscheinend genügend Leute, um einen von uns in Gröpelingen zu erschießen.”

Es wird deutlich wie in Bremen innerhalb kurzer Zeit drei Kämpfe der Massen aus dem Boden geschossen sind. Die bürgerliche Presse richtet ihre Augen auf die Rebellionen in Stuttgart oder Frankfurt am Main, berichtet darüber und hetzt. Aber die täglichen Kämpfe der Massen, wie sie jetzt an vielen Orten verstärkt auftauchen, finden bei ihnen kein Gehör. Die Massen müssen sich selbst Gehör verschaffen und die Revolutionäre müssen zeigen, dass sie diejenigen sind, die es mit ihnen tun und an ihrer Seite stehen. Der Fluss der Massen muss in ein revolutionäres Flussbett geleitet werden. Verstehen die Revolutionäre dies nicht anzupacken mit einer großen Initiative und einer großen Verantwortlichkeit, werden andere Kräfte kommen und den Fluss in andere Bahnen leiten.


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