Rote Post #5

Posted: Juni 1st, 2018 | Author: | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #5

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FRAUEN

Sexuelle Übergriffe auf der Arbeit

„Neulich wurde ich auf meiner Arbeit angegrapscht. Ein Mann, der doppelt so alt ist wie ich, und den ich vom Sehen kannte, kam zu mir, begrüßte mich und fasste mir dabei absichtlich an den Hintern.“ berichtete uns letztens eine junge Frau. Das ist kein Einzelfall. Immer wieder erzählen uns Frauen von widerlichen Chefs, Kollegen und Kunden, die denken, dass Frauen anscheinend Freiwild sind.

Frauen, die in Ausbildung sind, zum Beispiel. Eine Ausbildung zu bekommen, ist eh nicht einfach, wenn man die falsche Adresse oder den falschen Nachnamen hat. Und leben kann man auch nicht davon. Jetzt hat man aber einen Ausbildungsplatz bekommen und dann macht der Chef einem ekelhafte Avancen. Jetzt steht man da, froh, diesen Platz zu kriegen und dann kommt sowas. Wie soll man sich verhalten? Soll ich was sagen und am Ende meinen Platz verlieren? Selbst wenn man sich bei dem Betriebsrat oder den Zuständigen für die Azubis meldet und den Übergriff berichtet, wird einem mit einem Schulterzucken gesagt, dass man damit klarkommen müsste und dass dagegen nicht wirklich was zu tun sei. Die patriarchalen Schweine werden immer wieder, obwohl man von ihren Taten weiß, auf junge Frauen losgelassen.

Oder man arbeitet bei einer Leiharbeitsfirma, schuftet sich den Rücken krumm und buckelig und der Vorarbeiter macht anzügliche Bemerkungen und kommt einem zu nahe. Arbeitsrechte hat man bei diesen elendigen Ausbeuterunternehmen eh keine. Wenn man sich beschwert, kann man froh sein, versetzt statt gleich gefeuert zu werden. Viele Frauen entscheiden deswegen, lieber zu schweigen als was zu sagen. Dieses patriarchale System, der Imperialismus, in dem wir leben, schützt die Täter mehr als die Betroffenen. Gerade, wenn es Männer sind.

Eigentlich ist es die gesetzliche Pflicht jedes Arbeitskäufers, gegen Belästigungen und Übergriffe am Arbeitsplatz aktiv etwas zu unternehmen. Aber würden Gesetze umgesetzt werden, so dürfte in der BRD auch niemand hungern. Trotzdem gibt es Tafeln, weil der sogenannte „Wohlfahrtsstaat“ seiner Pflicht nicht nachkommt und ganz offensichtlich auch nicht nachkommen will. Es gibt eine Antidiskriminierungsstelle der BRD, es gibt gelbe Gewerkschaften (die so tun, als würden sie sich für die Arbeiter einsetzen) und es gibt Anlaufstellen für Frauen. Sie alle raten dazu, etwas zu unternehmen, sich zu wehren und sich bei den Zuständigen des Unternehmens zu beschweren, wenn man Opfer von Übergriffen wird oder diese mitbekommt. Und der Arbeitskäufer muss mit Sanktionen und anderen Mitteln alles tun, damit diese widerlichen Abartigkeiten unterlassen werden. Noch wichtiger: Das Opfer darf dadurch keine Nachteile erleiden. Das steht so im Gesetz. Schön und gut. Aber die Realität in diesem Fall sowie im Allgemeinen sieht anders aus.

Eine Studie von 2014 ergibt, dass 60% aller in der BRD lebenden Frauen generell schon einmal sexuelle Belästigung erlebt haben, etwa 1/3 davon bei der Arbeit. Nur zum Vergleich: Der offizielle Durchschnitt der EU liegt bei 40-50%.

Wie immer ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer enorm hoch ist. Aber auch Unternehmen geben ungern Auskunft darüber, wie viele Beschwerden bei ihnen eingegangen sind. So ist es schwierig bis unmöglich momentan über reale Zahlen zu sprechen und das schränkt natürlich auch uns als Autorinnen stark ein.

Aber wir wissen, wie frauenfeindlich dieses System ist und welche Systematik hinter diesen widerlichen Übergriffen steckt. Dass eine Studie aus der Schweiz z.B. 38 Frauen befragte, die sich über sexuelle Belästigung bei ihren Chefs beschwerten und sich nur fünf von ihnen wirklich ernst genommen und unterstützt fühlten, zeigt doch die Realität. Sexuelle Belästigung wird viel zu oft kleingeredet, die Opfer nicht ernst genommen á la „so schlimm kann es doch nicht gewesen sein“ oder noch schlimmer „sieh es als Kompliment“ oder ihnen wird eine Mitschuld gegeben. Das spielt natürlich den Tätern zu, die sich in keinerlei Schuld sehen. In der patriarchalen Welt hat die Frau dem Mann Untertan zu sein, sie muss seine Launen aushalten und für ihn da sein. Ein „Klaps auf den Hintern“ kann ja wohl nicht so schlimm sein, „sie soll sich mal nicht so haben“, so etwas hören wir Frauen viel zu oft, wenn wir von unseren Erfahrungen mit sexueller Belästigung erzählen.

Gesetze sollen uns schützen?

Und auch Gerichte sehen dies oftmals ähnlich. So wurde eine Putzfrau von einem Mann auf der Arbeit sexuell belästigt und beschwerte sich bei dem Arbeitskäufer. Der sprach dem Mann eine fristlose Kündigung aus. Erst danach kam dem Mann in den Sinn, sich für eine Tat zu entschuldigen und einen Täter-Opfer-Ausgleich zu zahlen. Davor war er sich keiner Schuld bewusst. Jedoch war er mit der Kündigung nicht einverstanden und zog vor das Bundesarbeitsgericht, um dagegen vorzugehen. Dem Mann wurde Recht gegeben, eine „notorische Grenze“ sei nicht überschritten worden. Eine „notorische Grenze“?! Was soll das sein?! Notorisch meint, eine „schlechte Eigenschaft zu haben“. Okay, weil der Mann nur einmal, soweit es bekannt ist, zum Täter wurde, ist es nur halb so wild, eine Frau in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit zu verletzten? Ja, es gibt dieses Recht im Artikel 2 des Grundgesetzes, aber anscheinend gilt es nicht, wenn sich ein patriarchales Schwein nur einmal an einer Frau vergreift. Und wenn, dann muss er nur mit einer Abmahnung rechnen. Dasselbe gilt übrigens auch für verbale sexuelle Belästigung, beides verstößt gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG), was so definiert wird: Sexuelle Belästigung ist „unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, das die Würde der betreffenden Person verletzt, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“.

Bestehendes Recht durchzusetzen, scheint für die deutschen Gerichte keine Option zu sein, was uns nicht verwundert, wenn wir sehen, wer als besonders gefährdet eingestuft wird. Die weiblichen Betroffenen sind nämlich überwiegend jung, finanziell abhängig von ihrem Job, oft ledig oder geschieden und Migrantinnen. Alles, was auf die Proletarierinnen in der BRD im Allgemeinen zutrifft. Dazu kommen noch die unsicheren Arbeitsbedingungen, wie befristete Verträge. Die patriarchalen Schweine nutzen also bewusst die Situation der Frauen aus! Gerade in den unterbezahlten Berufen wie der der Reinigungskräfte, Kindermädchen, Pflegerinnen und im Gesundheitswesen ist sexuelle Belästigung extrem ausgeprägt, europaweit ist das Gewaltrisiko am Arbeitsplatz für die Arbeiterinnen bis zu achtmal höher als woanders.

#metoo- Ein Hashtag hat noch keine befreit

Wir wollen hier keine #metoo-Debatte lostreten. Wir halten nichts davon, eine Internetprotestwelle zu starten. Es ist nicht unsere Art, nur zu schreiben und nicht zu handeln. #metoo war und ist ein bürgerlicher bis kleinbürgerlicher feministischer Protest. Wir müssen uns nur anschauen, dass irgendwelche Schauspielerinnen, die wahrscheinlich das 100-fache bis 1000-fache einer proletarischen Frau im Jahr verdienen, die Begründerinnen und Unterstützerinnen waren. Feminismus, der von der Bourgeoisie kommt, kann niemals der Feminismus der Proletarierinnen sein. Die Frauen, die mithilfe #metoo über ihre Erfahrungen erzählt haben, haben mit größerer Wahrscheinlichkeit die Möglichkeit, ihren Job zu wechseln, wenn sie Übergriffe erleben. Eine proletarische Frau, die ihre Kinder zu ernähren hat, hat diese Wahl mit großer Wahrscheinlichkeit nicht. Natürlich nehmen wir die widerlichen und patriarchalen Übergriffe auf Frauen der Bourgeoisie auch ernst, doch wir sehen, dass das sie das Patriarchat bei weitem nicht so sehr unterdrückt wie die proletarischen Frauen und sie mehr Möglichkeiten haben, diesen zu entkommen. Die Zahlen der bürgerlichen Statistiken zeigen, dass proletarische Frauen an ihren Arbeitsplätzen bei weitem mehr bedroht sind, als z.B. Büroangestellte, ganz zu schweigen von irgendwelchen Promis.

Und jetzt?

Dass proletarische Frauen von den Übergriffen am meisten getroffen werden, ist kein Zufall. Die Täter wissen stets um die schlechte ökonomische Lage der Frauen, die gezwungen sind, diese völlig unterbezahlten Jobs auszuführen. Und sie wissen, dass diese Frauen dazu gezwungen sind, weil es die einzige Möglichkeit ist, irgendwie über die Runden zu kommen. Diese ökonomische Abhängigkeit wird ausgenutzt, weil die Täter wissen, dass die Frau sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht wehren wird, weil sie sonst ihren Job verlieren kann. Oder, dass wenn sie sich tatsächlich wehrt, ihr wahrscheinlich eh nicht geglaubt wird und der Täter keine Konsequenzen zu befürchten hat. Warum ist das jetzt also möglich? Weil das Privateigentum besteht. Weil die Menschen, die mehr als ihre Arbeitskraft haben, um über die Runden zu kommen in dieser Gesellschaft, die sind, die das Sagen haben. Und sie haben die Möglichkeit, den Job zu wechseln, wenn sie belästigt werden. Als alleinerziehende Mutter, die sich nicht eine Ganztags-Betreuung ihrer Kinder leisten kann, geht das nicht so einfach. Wenn es überhaupt geht. Dass sich proletarische Frauen diesen widerlichen patriarchalen Übergriffen aussetzen müssen, ist also in der Konsequenz Ausdruck des Privateigentums. Es ist notwendig, dass Frauen sich zusammenschließen, um gegen diese Übergriffe zu kämpfen, und sich organisieren, um dessen Ursache, das Privateigentum zu bekämpfen. Wenn ihr sexuelle Übergriffe auf der Arbeit und überall sonst direkt oder passiv miterlebt habt, schreibt den Genossinnen der Roten Frauenkomitees unter website. rotesfrauenkomitee@gmx.de, schreibt der Roten Post von euren Erfahrungen und schließt euch mit anderen Betroffenen zusammen. Keine bürgerlichen Gesetze werden uns schützen. Keine Befreiung kann durch den bürgerlichen Staat erreicht werden sondern nur durch unseren Kampf zusammen mit all den Unterdrückten auf der Welt.


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