Rote Post #33

Posted: Dezember 9th, 2020 | Author: | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #33

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BREMEN

SCHIKANEN GEGEN GEFLÜCHTETE MÜTTER

Aktuell befinden sich einige afrikanische Mütter in Auseinandersetzung mit dem Bremer Standesamt, da sich dieses weigert, trotz vorliegenden notwendigen Dokumenten, insbesondere der Vaterschaftsanerkennung, Geburtsurkunden für ihre in Deutschland zur Welt gekommenen Kinder auszustellen. Viele der Väter besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Hat ein Elternteil diese, kann das Kind sie auch erhalten, was wiederum in diesem Fall den Aufenthaltsstatus der Mutter verbessert, d.h. die Chancen auf ein Bleiberecht erhöht. Die Mütter werden allerdings unter einen Generalverdacht gestellt, in ihrer Heimat mit anderen Männern verheiratet zu sein und einen falschen Vater anzugeben. Deshalb wird die rechtmäßige Vaterschaftsanerkennung des Vaters angezweifelt bzw. dann ignoriert und die Geburtsurkunde nicht ausgestellt. Ohne diese haben die meisten Mütter und Kinder keine Aussicht auf eine Aufenthaltsgenehmigung. Der Status der Mütter ist „Duldung“, die „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“ für „Personen, die verpflichtet sind, das Bundesgebiet zu verlassen, aber dies aus tatsächlichen, rechtlichen, dringenden humanitären oder persönlichen Gründen nicht können”. Folglich will der deutsche Staat sie früher oder später abschieben. Deshalb ist die Geburtsurkunde für Mutter und Kind die einzige Aussicht auf ein dauerhaftes Leben in Deutschland. Wir haben uns zu diesem Thema mit einer nigerianischen Mutter, die seit kurzem in Deutschland lebt und von dem Thema betroffen ist, unterhalten.

Mary (Name geändert) wohnt mit ihrem mittlerweile elf Monate altem Kind in einer Flüchtlingsunterkunft mit drei anderen Leuten in einem Raum ohne Privatsphäre. Zuvor war sie in der Sammelunterkunft Lindenstraße in Vegesack untergebracht gewesen, deren Zustände und Quarantäne der gesamten Unterkunft, als sie vor einem guten halben Jahr öffentlich wurden, zu einem regelrechten Skandal führten. Mit dem Kind kann sie ohne Geburtsurkunde keinen Arzt besuchen und natürlich bekommt es auch keinen KiTa-Pass; es gibt kein Eltern- oder Kindergeld, keine Krankenversicherung, Mary ist nach Deutschland gekommen, um hier mit dem Vater, der eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, in einer Beziehung zusammenleben zu können. Sie möchte Kinderpflege oder -erziehung lernen und dann arbeiten. Aber mit dem Aufenthaltsstatus „Duldung“ ist ihr sowohl das Arbeiten als auch das Studieren oder zur Schule Gehen nicht möglich, deshalb ist sie auf Sozialhilfen angewiesen. Sie berichtet von der Diskriminierung durch die Behörden:

„Ich wurde darüber, dass ich die Geburtsurkunde nicht bekomme, informiert, als mein Kind einen Monat alt war. Also versuche ich seit Januar aktiv, die Urkunde zu bekommen. Ich habe einen Brief vom Standesamt bekommen, in dem dieses mir mitteilt, dass es Dokumente von mir benötigt. Sie haben bereits die Vaterschaftsanerkennung und alles, was normalerweise benötigt wird. Sie wollten alle Dokumente. Die meisten davon stehen nicht einmal im Zusammenhang mit der Geburt. Sie wollten meine Geburtsurkunde, meine Taufurkunde, Geburtsurkunden älterer Kinder und so weiter. Ich habe versucht, alle zu bekommen, aber natürlich war das nicht möglich und ein paar der Dokumente fehlten. Das Standesamt sagte mir, dass sie untersuchen wollen, ob ich schon einmal verheiratet war, was ich nicht war und was ich auch beweisen konnte. Aber damit waren sie nicht zufrieden und sagten mir, dass ich ihnen 665 Euro geben muss, damit sie mit meiner Heimatstadt in Kontakt treten und alle Urkunden, alle fehlenden Informationen einholen können. Sie versuchen, meine Vergangenheit aufzuwühlen, die sehr schmerzhaft und persönlich ist und mit welcher ich nicht mehr konfrontiert werden möchte. Sowieso muss man nicht verheiratet sein, um ein Kind zu haben.“ (Mary hat in Nigeria ältere Kinder mit einem anderen Mann) „Keine deutsche Frau würde jemals gefragt werden: Wie kann es sein, dass sie ein Kind hat, sie ist doch nicht verheiratet? Ich habe das Geld nicht an das Standesamt bezahlt. Ich kenne Frauen, die das gemacht haben und immer noch auf die Urkunde warten. Das ist jetzt ein halbes Jahr her.“

Damit ist eigentlich alles erklärt. Das Standesamt fordert Dokumente, die eigentlich überhaupt nicht erforderlich sind. Mehr als 80 Prozent der Kinder in Nigeria haben laut Mary keine Geburtsurkunde, trotzdem muss sie eine von sich vorlegen. Auf welcher rechtlichen Grundlage hier gehandelt wird, bleibt offen. Alle notwendigen Papiere für die Geburtsurkunde liegen vor. Die Behörde schiebt für ihre willkürlichen Maßnahmen einen Generalverdacht vor, dass alleinerziehende Mütter (man bedenke – alleinerziehend, weil man sie in den meisten Fällen nicht mit ihrem Partner leben lässt) sich gezielt Partner mit deutscher Staatsbürgerschaft gesucht hätten und deswegen mit den Angaben zu u.a. Ehen in ihren Heimatländern betrügen würden, um in Deutschland Asyl zu bekommen. Das, obwohl viele von patriarchaler Gewalt durch alte Partner betroffen sind, und obwohl ihre jetzigen Partner doch in großen Teilen selber vor dem Leben in der dritten Welt geflohen sind. Das deutsche Gesetz legt zunächst den Vater als die mit der Frau – sofern vorhanden – verheiratete Person fest. Damit versuchen die Behörden – die Vaterschaftsanerkennungen von hier übergehend – die Vaterschaft auf einen Ehepartner in Afrika, also ohne deutsche Staatsbürgerschaft, zurückzuführen.

Auf Seite des dafür verantwortlichen Innenressort positionieren sich nicht viele. Eine der wenigen ist natürlich die Bild. In einem Hetzartikel gibt sie die angeblichen Worte eines Jobcenter- Mitarbeiters wieder: „Es sind Obdachlose, Rentner, Schwarzafrikaner mit unbegrenzter Aufenthaltserlaubnis. Alle leben von Sozialhilfe, zahlen nie einen Cent für das Kind […]”. Die Masche sei laut „Bild“, dass zur Vaterschaftsanerkennung kein Gen-Test verlangt wird und deshalb alle die Behörden betrügen würden. Den Wahrheitsgehalt dieser chauvinistischen Behauptungen kann jeder selbst gut genug beurteilen. Dann schreibt das reaktionäre Blatt von „Transferleistungen von über 3500 Euro, wenn die Frauen bereits Kinder aus Afrika mitbringen“. Angedeutet wird, dass dieses Geld von deutschen Staatskassen an Schlepperorganisationen gehen soll. Diese Zeilen beweisen, dass die herrschende Klasse mit der ganzen Geschichte mal wieder die Spaltung der Massen forciert. Betroffen von der Verweigerung der Geburtsurkundenausstellung sind ausschließlich schwarze Frauen. Mary betont, dass das Rassismus ist und ihnen hier Menschenrechte verweigert werden.

Mary meint, sie hat von vornherein keine große Erwartungen gehabt und versucht sich an die schlechten Bedingungen anzupassen. Trotzdem lebt sie in dauerhafter Angst um den Status von ihr und dem Kind und leidet unter der Art der Behörden, die Mütter nach Informationen aus ihrer Heimat zu durchlöchern. „Das ist herabwürdigend. Ich fühle mich schrecklich deswegen. Das Standesamt wühlt eine schreckliche Vergangenheit auf. Manchmal denke ich, dass ich hier nie hätte herkommen sollen. Könnt ihr euch vorstellen wie es ist, ständig Angst zu haben? Ich habe sogar Angst, wenn mein Kind nur hustet. Sollte sie krank werden, werde ich nicht in der Lage sein, etwas dagegen zu tun. Ich kann ihre Krankenversorgung nicht aus eigener Tasche bezahlen. Und genau das ist es, was sie wollen. Sie wollen, dass wir nur daran denken und uns ständig Sorgen machen, sodass wir uns nicht auf andere Dinge fokussieren können, uns nicht zusammenschließen und dagegen kämpfen können. Mein Kind wird von ihrem Vater getrennt. Er hat keine gesetzlichen Rechte an ihr oder das Recht, mit uns zu leben. Er sollte eine Chance haben, einen größeren Anteil an ihrer Fürsorge zu haben.“ Trotzdem haben viele der betroffenen Mütter es geschafft, sich zusammenzuschließen anzufangen, dagegen zu kämpfen. Kürzlich hat es vor dem Standesamt eine von der Initiative Together we are Bremen organisierte, kämpferische Kundgebung für das Recht auf Geburtsurkunden gegeben. In dieser Hinsicht ist Mary zuversichtlich: „Wir fordern das Zertifikat, organisieren Demos und mobilisieren Menschen für unsere Sache. Wir gehen auf die Straßen. Wir müssen mehr Menschen informieren, unser Anliegen über die Presse, das Internet und auf den Straßen verbreiten, um Druck aufzubauen.“


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