Rote Post #39

Posted: Juni 18th, 2021 | Author: | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #39

 

 

 

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HAMBURG

MÜLL-SHERIFFS:

Die Stadtreinigung als Exekutive

 


Wir haben in den letzten Monaten schon öfter über die Ausweitung des Ausnahmezustandes geschrieben. Die Polizei erhält mehr und mehr Befugnisse und Rechte, um die Maßnahmen, die mit dem Infektionsschutz gerechtfertigt werden, besonders in den Arbeitervierteln, mit Gewalt oder hohen Geldstrafen durchzusetzen. Nicht nur die DB-Sicherheit, die Hochbahnwache oder das Ordnungsamt spielen sich neuerdings als Hilfsbullen unseren den Vierteln auf, auch die neuen sogenannten „Waste-Watcher“, die im Mai 2018 gegründet wurden, gehören nun zum erweiterten Arm der Exekutive.

Auf der Homepage der Stadtreinigung heißt es, die „Waste-Watcher“ „…kümmern sich um die Sauberkeit Hamburgs und damit auch um die Lebensqualität der BürgerInnen und Bürger.“ Aber geht es ihnen wirklich nur um die Sauberkeit in unseren Vierteln?

Besonders die Gebiete, die oft von Touristen besucht werden, wie dem Jungfernstieg, die Mönckebergstraße oder der Hauptbahnhof werden von den „Waste-Watchern“ bewacht, weil die Stadt Hamburg diese Orte „ansehnlich“ halten will. Doch nicht nur die touristischen Gebiete werden von den „Waste-Watchern“ kontrolliert, auch die Viertel, in denen viele Arbeiter wohnen, wie in Wilhelmsburg, Wandsbek oder Harburg, werden vermehrt regelmäßig von den neuen Hilfsbullen der Stadtreinigung Hamburg heimgesucht.

Wenn man von den „Waste-Watchern“ erwischt wird, wie man ein Müllstück (dafür reicht schon eine Kippe) nicht in den Mülleimer, sondern auf die Straße wirft, muss man mit einer Strafe von 20€ (Kaugummi-Papier, Kippenstummel) bis 40€ (Hundehaufen nicht entsorgen) rechnen. Wenn man bei der wilden Entsorgung von Sperrmüll erwischt wird, kann die Strafe bis zu 8.000€ steigen. Es soll dank der „Waste-Watcher“ mit weiteren repressiven Mitteln versucht werden, den SCHEIN einer sauberen Stadt zu wahren, und das jetzt auch in den Arbeitervierteln.

In den verschiedensten Berichten und Videodokumentationen über die „Waste-Watcher“ kann man ihr Handeln und ihre Motivation erkennen. Es geht nicht wirklich um eine sauberere Stadt, es geht ihnen schlichtweg um die Möglichkeit, selber mal „den Knüppel zu schwingen“. Die hohen Geldstrafen treffen wieder besonders die Armen und Arbeiter. Nicht nur, dass man jetzt für das Nichttragen eines Mund-Nasen-Schutzes sehr hohe Geldstrafen zahlen muss. Schon seit 2018 muss man für das Wegwerfen eines Kippenstummels auch 20€ zahlen, bis jetzt wurde das jedoch wenig kontrolliert.

Es ist nicht so, dass wir kein Interesse hätten, unsere Viertel sauber zu halten, aber eine alleinerziehende Mutter, die drei Jobs machen muss, um ihre Kinder zu ernähren, hat vielleicht andere Probleme, als ihren Bio-Müll richtig zu trennen. Dazu kommt: wir wissen, uns gehören die Viertel (noch) nicht. Wir sehen Einkaufszentren oder Bahnhöfe, die wir zwar zum Teil mit aufgebaut haben, aber nichts davon ist tatsächlich unser Eigentum. Wenn es tatsächlich unser Viertel wäre, wenn wir selbst allein entscheiden, was in unseren Vierteln passiert und was nicht, wenn es nicht in der Hand der Bonzen wäre, wäre es für selbstverständlich, unsere Umgebung sauber zu halten.

Auffällig ist auch, dass die „Waste-Watcher“ nun in den Vierteln unterwegs sind, von denen die Herrschenden sowieso erwarten, dass es dreckiger ist als in den Bonzenvierteln. Seit Jahren bestehen die Probleme verdreckter Viertel in Hamburg und auch seit Jahren gibt es ein klares Begehren der Bevölkerung, die Viertel sauber halten zu wollen. Anstatt weitere repressive Hilfsbullen einzusetzen, hätte die Regierung dafür sorgen können, dass z.B. mehr Mülleimer in den Vierteln aufgestellt werden.

Anstatt die Mittel und Möglichkeiten bereitzustellen, damit wir selber dafür sorgen können, unsere Viertel sauber zu halten, selbst die Reinigung der Straßen zu organisieren und zu planen, installiert die Stadtreinigung einfach ein neues Bataillon von Hilfsbullen. Anstatt die Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern, wird, wie so oft, stattdessen die Kontrolle erweitert. Die Stadt hat nämlich kein Interesse daran, dass wir uns um unsere Viertel selbst kümmern. Was ihr mehr nützt, sind Ordnungshüter, die ohne Vorwarnung und ohne rechtliche Grundlage auf die „Leute aufpassen“ und ihre Personalien aufnehmen.

Was die Stadt Hamburg mit den „Waste-Watchern“ versucht, ist klar: es geht um die Aufstandsbekämpfung. Man muss nun also nicht nur auf die Polizei aufpassen, wenn man sich außerhalb ihrer „Ordnung“ bewegt, sondern nun auch auf die „Waste-Watcher“, die Hochbahnwache oder anderen Hilfsbullen. „Nirgends seid ihr sicher, unsere Augen sind überall“ ist die unterschwellige Nachricht. Die Stadt Hamburg versucht also hiermit weiter die Kontrolle über die Arbeiterviertel zu behalten. Es reicht nicht, dass die Zunahme an Kontrollen mit „Corona“ gerechtfertigt wird, nun werden wir auch durch Strafen schikaniert, wenn wir unseren Kleinstmüll nicht fachgerecht entsorgen.

Wir spüren jeden Tag mehr die Gewalt des Staates, die Ordnungshüter bekommen fast täglich neue Befugnisse und größere Einflussbereiche. In Hamburg hat die Polizei nun tatkräftige Unterstützung vom Ordnungsamt, der Hochbahnwache, der DB-Sicherheit, die verschiedenen privaten Sicherheitsbetriebe, privater bewaffneter Security und nun auch von den „Waste-Watchern“. Das Zeichen, welches Schritt für Schritt gesetzt wird, wird nun immer deutlicher; es geht um die Kontrolle und um die Aufstandsbekämpfung in den Vierteln. Die Stadt hat nicht wirklich ein Interesse daran, dass ihre Menschen in einer sauberen Stadt leben, die Stadt muss nur so hergerichtet werden, dass sie sich zeigen lässt. Es wird auch nicht wirklich etwas gegen den Dreck auf den Straße getan, dafür ist die Anzahl der eingesetzten Reinigungskräfte einfach zu gering (2018 wurden 400 „Saubermacher“ eingestellt und die Anzahl hat sich auf 800 verdoppelt). Es geht mal wieder nicht darum, den Menschen wirklich vor Ort zu helfen, sondern den SCHEIN zu wahren, etwas getan zu haben.

Dabei werden für die „Drecksarbeit“ der Kontrolle, d.h. Fahrkarten kontrollieren, die Bahnhöfe in den Arbeitervierteln besetzen, „Müllsünder“ schikanieren, mehr und mehr Ordnungshüter eingespannt. Darunter sind auch private Sicherheitsfirmen, die direkt für den Staat arbeiten. Der Staat erweitert seinen „Wirkungsbereich“, damit wir uns in Zeiten der Krise, die auf unserem Rücken abgewälzt wird, an ihre Repressionen gewöhnen. Das ist Vorsorge dafür, dass die Wut, die Verzweiflung, die Ungewissheit, die wir spüren, sich nicht gegen die Herrschenden richtet. Aber das wird sie.

Für uns bleibt nur eine Sache: gemeinsam gegen die Repressionen und uns unsere Stadt erkämpfen. Wir wissen sehr wohl, wie es funktioniert, eine Stadt sauber zu halten um sich darin wohl zu fühlen, und dabei schaffen wir es mit absoluter Gewissheit auch, uns nicht gegenseitig mit Geldstrafen zu schikanieren. Wir brauchen keine „Waste-Watcher“, um unsere Stadt sauber zu halten, und wir brauchen vor allem keine weiteren Bußgelder, die unser Leben schon jetzt mehr als beeinträchtigen.


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