Rote Post #29
Posted: Juni 27th, 2020 | Author: Norah | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #29Die gesamte Ausgabe als Download
THÜRINGEN
DIE SCHWABE BLEIBT!
Die ehemalige Kulturstadt Weimar ist ständig im Wandel. Vor allem für Touristen wird viel geboten. Kunstfeste, Töpfermärkte und sonstige Events reihen sich schier unaufhörlich aneinander. Und für das Bauhausmuseum werden wie selbstverständlich Ressourcen aufgebracht und Straßen umgeleitet.
Die Wohnkultur und vor allem die gute Kinderstube vieler Vermieter lassen allerdings öfter zu wünschen übrig und so ist so mancher Wandel eine echte Bedrohung für Mieter. Die Bewohner eines Hauses in der Schwabestraße müssen das gerade am eigenen Leib erfahren.
Ihr Vermieter und Eigentümer ihres Wohnraums, die Euphoria GmbH, macht ernst und kernsaniert das Haus, in dem manche der Bewohner schon seit über zehn Jahren leben. Eine Räumungsklage war vorerst erfolglos und wurde vom Amtsgericht Weimar abgewiesen, dennoch setzten sich am Ende die Vermieter durch. Sie haben erfolgreich einen großen Teil der Mieter aus ihren Wohnungen geekelt. Die alten Mietverträge sahen dabei bis zu drei Euro pro Quadratmeter Kaltmiete vor. Nach der Kernsanierung werden die Kaltmieten dabei um die 13€ pro Quadratmeter liegen.
Um den Bewohnern das Leben so unangenehm wie möglich zu gestalten, setzen die Vermieter dabei offene Schikane ein. Sie entkernen die leeren Wohnungen und nehmen in Kauf, dass sich hier Tauben einnisten und alles verdrecken. Mieter berichten davon, dass immer wieder das Wasser abgestellt wird. Die Gasanlage ist bereits vollständig zurückgebaut. Sogar die Sandkiste vor dem Haus musste weichen, da den Miethaien anscheinend sehr bewusst ist, wie wichtig den Mietern das Wohlbefinden ihrer Kinder ist. In einem Fernsehbericht wurde sogar über Löcher in den Zimmerdecken berichtet. Kommentar der Vermieter auf Nachfrage der Reporter: Es sei weiter mit massiven Beeinträchtigungen der Wohnqualität während der Sanierungsarbeiten zu rechnen. So mancher Mieter musste vor dem Terror der Vermieter kapitulieren. Von ursprünglich zwölf Wohnungen des Aufgangs Nr. 9 sind nur noch vier Wohnungen bewohnt.
Ganz allgemein zieht die Veränderung und die vermeintliche Aufwertung vieler Kieze in Weimar eine Spur der Verwüstung hinter sich her. Viele Weimarer können sich erinnern, wie sie sich beim Bäcker um die Ecke ein Käsebrötchen vor der Schule leisten konnten. Doch auf Schüler mit Taschengeld sind die Brot- und Kuchenmanufakturen mit ihren arbeiterfeindlichen Preisen nicht ausgelegt. Konnte man früher so manchen Pimpf mit Schulranzen dabei beobachten, wie er sich am Schaufenster von Waffenseelig die coolen Schwerter und Zierpistolen ansah, reiht sich nun Atelier, Manufaktur, Boutique und Co. aneinander. Sicher, Veränderung ist gut und nicht alles kann immer so weiter gehen. Aber die Veränderungen und Aufwertung und Ausrichtung der Stadt auf Vorzeigetourismus schlägt sich eben auch auf die Lebensqualität der Weimarer nieder.
Konnte man sich in der Nordvorstadt und im Schlachthofviertel noch vor 4-5 Jahren eine annehmbare Altbauwohnung ergattern, kehrt mit dem Bioladen in der Rosenthalstraße schon das nächste Bauprojekt für Eigentumswohnungen ein. Wer dank Kinderzuwachs gezwungen war, in der letzten Zeit umzuziehen, kann den Preisanstieg am eigenen Leib erfahren. Aus was man früher noch eine 4-Raum-WG mit großer Küche bezahlen konnte, wird jetzt nur noch ne kleine Dachgeschosswohnung mit 2,5 Zimmern.
Und schon früher waren die Altbauwohnungen nicht der Hammer! Hohe Heizkosten dank ungedämmter Wand und ausgeleierter Tür stehen auf kaum einem Wunschzetteljunger Wohnungssuchender. Trotzdem versprechen Sanierung und Renovierung der Wohnungen eben nicht unbedingt nur Verbesserung der Wohnqualität, sondern auch höhere Mieten. Und da bleibt man lieber in einer ungedämmten Bude, wo die Fenster knattern wenn ein Bus vorbeifährt. Und gutes Wohnen muss man sich leisten können. Zumal der größte Teil der Bevölkerung mehr als ein Drittel, viele sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Wohnraum allein ausgeben müssen.
Und so ist der Kampf der Mieter aus der Schwabestraße in vielerlei Hinsicht gerechtfertigt. Sie verlieren nicht nur ihre Heimat und müssen sich von einem liebgewonnenen Wohnort trennen, von Nachbarn die zu Freunden wurden, sondern eben auch von einem letzten Überbleibsel bezahlbaren Wohnraums in Weimar.
Vermieter nutzen das Grundbedürfnis der Massen nach einem Dach über dem Kopf aus. Die meisten Menschen werden nie genug auf einmal auf dem Konto haben, um sich eigenen Wohnraum zu kaufen. Sie sind also dazu gezwungen, sich jemanden zu suchen, der Wohnraum besitzt, den er nicht selbst benötigt, und ihn deshalb gegen regelmäßige Zahlung einer Miete zu übertragen. Für den Vermieter hat der Wohnraum nur den Nutzen, als Wertanlage zu fungieren. Als Wertanlage, die man von der reichen Oma geschenkt bekommt oder die einem die reichen Eltern vermachen. In dem Maße, wie es Miethaie wie die Vonovia, Deutsche Wohnen und Konsorten die Sache betreiben, hat es jedoch gar nix mit Altersvorsorgeplänen zu tun. Hier besitzt man nicht zwei Wohnungen, obwohl man nur in einer wohnen kann. Hier gehören hunderttausende Wohnungen in verschiedenen Städten zum Kapital von Wohnungsbaukonzernen. Der Wohnraum ist hier vollkommen unabhängig von seinem Gebrauchswert für die Mieter. Im Gegenteil, oft nutzt er den Konzernen mehr, wenn er leersteht und verfällt. Das Volkshaus in der Ebertstraße und die alte Eisdiele an der Ecke Hummelstraße, Schützengasse sind traurige Beweise dafür.
Die Forderung kann nur sein: Die Wohnungen denen, die drin wohnen! Die Verwertungslogik des Kapitalismus macht alles zur Ware und die Grundbedürfnisse zur _Erpressungsgrundlage unserer Klasse. Die Enteignung der Bonzen, der Schlotbarone wie der Wohnungskonzerne ist notwendige Grundlage für eine bedarfsgerechte, gemeinsam organisierte Versorgung der Menschen. Nur durch die sozialistische Revolution können wir organisieren, dass unser aller Bedürfnisse gemeinsam befriedigt werden können, wenn jeder seinen Teil beitragen kann. Erst wenn wir nicht mehr von den Besitzern der Produktionsmittel und der Wohnungen abhängig sind, erst, wenn sie sich nicht mehr auf unsere Kosten bereichern können, treten wir endlich in einen wahrhaft menschlichen Zustand ein.