Rote Post #63
Posted: Juni 11th, 2023 | Author: rotepresse | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #63
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Berlin
Streik bei der Stadtreinigung
Überfüllte Mülltonnen, der Inhalt aufgeplatzter Abfallsäcke verteilt auf dem Boden und so viel Sperrmüll, dass man sich nach einem Nachmittagsspaziergang ein Zuhause einrichten könnte. Das, was in vielen Arbeitervierteln Normalität ist, weil sich die Hausverwaltungen nicht um Möglichkeiten für eine ordentliche Entsorgung kümmern, war in den letzten Wochen auch an anderen Stellen der Stadt zu sehen. In den bürgerlichen Medien wurden die Arme hoch geworfen und Panik-Überschriften verfasst, wie beispielsweise in der Berliner Zeitung: „Folgen des BSR-Streiks: Abfallexperte sieht Ratten und Bakterien nach Berlin kommen“. Die Analyse des „Abfallexperten“: Wenn der Müll nicht abgeholt wird, bleibt er liegen. Und Biomüll fängt an zu stinken, wenn man ihn liegen lässt. Die Bonzen fürchten sich also vor „Pariser Zuständen“, denn in der französischen Hauptstadt streikte die Müllabfuhr als Teil des allgemeinen Streiks drei Wochen lang, aufgrund der geplanten Anhebung des Renteneintrittalters, und nahm damit an den Kämpfen in der Stadt teil, sodass mehr als 7000 Tonnen Müll mit Baggern von der Straße abtransportiert werden müssen. Wenn jedoch die Tarifverhandlungen laufen wie bisher, dann sollten die Herrschenden sich um andere Aspekte der „Pariser Zustände“ sorgen.
Die Dienstleistergewerkschaft Ver.di und der Beamtenbund handeln derzeit bundesweit neue Tarife für rund 2,5 Millionen Beschäftigte von Bund und Kommunen aus. Der Verhandlungspartner ist hierbei die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Mit 6.000 Beschäftigten ist die Berliner Stadtreinigung, kurz BSR, das größte kommunale Abfallwirtschaftsunternehmen Deutschlands. Verdi fordert 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro mehr für alle Beschäftigten und 200 Euro mehr für Azubis. Die „Arbeitgeber“seite hatte die Forderungen als „nicht leistbar“ abgelehnt. Sowohl das erste, als auch das zweite Angebot der VKA lehnte Ver.di ab. Die VKA hatte drei Prozent mehr Gehalt zum 1. Oktober 2023, zwei Prozent zum 1. Juni 2024 und zwei einmalige Zahlungen in Höhe von 1.500 Euro im Mai 2023 und 1.000 Euro im Januar 2024 geboten. Für die Arbeiter der BSR sollte es zusätzlich zu der Lohnsteigerung eine Zusatzprämie für das Einsammeln des während des Streiks liegen gebliebenen Mülls geben. Dazu ein BSR-Sprecher:
„Wenn sich nach einem mehrtägigen Streik der Abfall einiger Tage angesammelt hat und die Entsorgung dann von uns nachgeholt wird, funktioniert dies logistisch nicht, ohne dass über etliche Tage entsprechende Mehrarbeitsstunden anfallen. Als Arbeitgeber sind wir zur Vergütung dieser Mehrarbeitsstunden auch verpflichtet. Die Beschäftigten müssen diese nicht etwa deshalb unbezahlt leisten, weil sie zuvor gestreikt haben und aus diesem Grund der Abfall liegen geblieben ist. Die Abgeltung für die Mehrarbeit wird von uns pauschaliert, und zwar in Höhe von 150 Euro brutto in Anlehnung an jeden Streiktag.“
Die BSR will also das machen, wozu sie sowieso verpflichtet ist, nur dass sie sich durch die Pauschale aus der Verantwortung zieht, auch die Überstunden zu bezahlen, die nicht von dieser gedeckt sind. Zudem hätte das Angebot der VKA die höheren Entgeldgruppen deutlich bevorzugt. Die rund 2.600 Arbeiter mit Reinigungs- und Müllabfuhrjobs bei der BSR zählen zu den unteren Entgeldgruppen. Als festangestellter Arbeiter in Vollzeit verdient man knapp 3000 Euro brutto, als Bedarfskraft in Teilzeit rund 1.600 brutto und als Müllwerker 3133 Euro brutto im Monat. Doch diese Zahlen machen auch deutlich, dass Ver.di in den Verhandlungen wieder einmal nur das Mindeste fordert, für diejenigen, die am Meisten unter der Teuerungswelle leiden.
Die Antwort auf die gescheiterte zweite Verhandlungsrunde war ein Warnstreik, der am 06. und 07. März stattfand. Am 06. März streikten etwa 300 Arbeiter der BSR vor dem Gebäude der Hauptverwaltung in der Ringbahnstraße. Es wurden Nebeltöpfe, aus denen orangefarbener Rauch kam, gezündet, die Stimmung war kämpferisch. „Unsere Arbeitgeber, die Politiker, erhöhen sich laufend die Diäten, aber wir müssen für jeden Inflationsausgleich kämpfen“, sagte einer der Arbeiter. Die Streikdemo der Berliner Wasserbetriebe, die zu dem Protest dazu stieß, wurde mit Jubel und Applaus empfangen. Ein Azubi der Wasserbetriebe erzählte, „Essen gehen ist einfach nicht mehr drin. Hauptsächlich ernähre ich mich inzwischen von Nudeln“. Bei diesem Warnstreik blieben fast 100 Prozent der Müllwagen stehen. Bestreikt wurde die Müllabfuhr, der Sperrmüll-Abholservice, die Recyclinghöfe und die Straßenreinigung. Die einzige Notfallregelung wurde bei eventuell erforderlichen Winterdienstmaßnahmen getroffen. Auch die weiteren Streiks am 10. März, sowie am 26. und 27. März zeigten, dass die Arbeiter eine enorme Wut haben, und entschlossen sind, für mehr zu kämpfen. Jedoch zeigt die Gewerkschaftsführung kein Interesse daran. Es geht bei den Forderungen wie immer nur darum, die Leute bis zu den nächsten Verhandlungen über Wasser zu halten. Doch die Stimmung auf den Streiks lässt nur vermuten, wie lange Ver.di damit und mit ihren systemtreuen Methoden durchkommt.
Zu letzteren gab es vor kurzem einen Bericht, den wir wiedergeben wollen: Ein ehemaliger Berliner Abgeordneter und jetziger Chef der sogenannten „Verdi-Konkurrenz“, der Good-Governance-Gewerkschaft, Marcel Luthe, machte auf ein Problem in der Streikfrage bei der BSR aufmerksam. Denn diese macht anscheinend während der Streiks keine Verluste, sondern fährt sogar noch Gewinne ein. Auch während des Streiks darf die BSR laut Abfallwirtschaftssatzung die Gebühren in voller Höhe einnehmen, und spart zudem noch Spritgeld und Gehalt. Ein BSR-Sprecher verwies hier auf den Paragraf 14, der bereits genannten BSR-Abfallwirtschaftssatzung, in welcher steht:
„(1) Bei Einschränkungen, Unterbrechungen, Verspätungen oder dem Ausfall von Sammlung, Abfuhr oder Behälterstellung infolge einer Störung im Betrieb, durch höhere Gewalt, Streik oder behördliche Verfügung, besteht kein Anspruch auf Schadensersatz oder Gebührenermäßigung […].“
Und des weiteren:
„(2) Unterbliebene Leistungen werden so schnell wie möglich nachgeholt. Können Abfallbehälter aus Gründen, die die BSR oder von ihm beauftragten Dritten nicht zu vertreten haben, nicht oder nicht vollständig geleert werden, so wird die Abfuhr erst am nächsten planmäßigen Termin nachgeholt.“
Da der Ausdruck „nächsten planmäßigen Termin“ nicht weiter erläutert ist, kann das eben auch bedeuten, dass der Müll erst nach vier Tagen, wie beispielsweise zwischen dem 05. bis 09. März, abgeholt wird und die BSR keine finanziellen Nachteile dadurch hat. Diese Satzung wurde am 16. Dezember 2020 unter dem rot-rot-grünen Senat beschlossen, taktisch geschickt aber erst am 30. Dezember im Amtsblatt bekannt gemacht, um sie unter dem Radar durchzuwinken.
Die Folge daraus ist, dass auf die BSR durch die kurze Niederlegung der Arbeit, wie einem Warnstreik, kein Druck ausgeübt werden kann, da kein wirtschaftlicher Schaden beim Unternehmen entsteht. Und wie die Klage des Vorzeige-Demokraten vor dem Berliner Verwaltungsgericht zeigt, ist das selbst aus bürgerlicher Sicht ein Verstoß gegen das im Grundgesetz verankerte Streikrecht. Welches ohnehin schon so beschnitten ist, dass sich auf dem legalen Wege keine wirklichen Besserungen für die Arbeiter erkämpfen lassen.