Rote Post #67
Posted: September 20th, 2023 | Author: rotepresse | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #67
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Berlin
Alljährliche Schlägerei im Freibad – „Sommerloch“ in den bürgerlichen Medien
Es hängt Vielen schon zum Hals heraus – seit Tagen geht es in den Berliner Medien nur noch um drei Dinge: Rammstein, den nächsten großen Rave und die Gewalt in den Freibädern. So, als würde das Sommerloch tatsächlich existieren und es gebe nichts Anderes zu berichten. Während also zum Beispiel Vonovia WBS-Mieten erhöht, wie es ihnen passt, und der Berliner Senat nur mit den Schultern zuckt, haben es die Raufereien im Freibad geschafft, sich auch auf die bundesweite Medienlandschaft auszuweiten. Das Phänomen der Freibad-Schlägerei gibt es schon lange, und seit mindestens zehn Jahren werden die immer gleichen Standpunkte und Argumente ausgepackt. Schauen wir uns das Ganze etwas genauer an.
Zuallererst stellt sich die Frage, ob das Ausmaß der Berichterstattung den Umständen angemessen ist. Schaut man sich die Zahlen der verteilten Hausverbote in Freibädern in diesem Jahr an, stellt man fest, die Zahlen kommen gerade mal so über die der Vorjahre. Gut, die Saison ist noch nicht vorbei und in den Vorjahren herrschte der von den Herrschenden verhängte Ausnahmezustand. Laut Hochrechnungen, über die der rbb24 schreibt, wird es bis zum Ende der Saison zu insgesamt etwa 160 Hausverboten kommen – nur wenig mehr als im Vorjahr. Der Trend für wegen Gewalttaten verhängten Hausverboten geht ebenfalls nach unten. Um also die eingangs gestellte Frage zu beantworten, nein, das Ausmaß der Berichterstattung in der bürgerlichen Presse ist nicht gerechtfertigt. Das Phänomen des sogenannten Sommerlochs, oder auch die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr, wird immer wieder für solche Zwecke genutzt.
Friedrich Merz (CDU) fasste bei einer Pressekonferenz gut den Standpunkt der Herrschenden zusammen: „Das sind offensichtlich größere Gruppen von enthemmten Jugendlichen, bei weitem nicht nur mit Migrationshintergrund, aber auch mit Migrationshintergrund. […] Hier muss die Polizei eingreifen.“
Wie auch schon bei den Diskussionen um die „Silvester-Krawalle“ herum, ist das vermeintliche Täterprofil klar. Dieses wird nun erneut genutzt, um die chauvinistische Hetze der deutschen Imperialisten zu verbreiten.
Es wird keine Chance ungenutzt gelassen, mehr Bullen im Stadtbild zu etablieren. So einigten sich der regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) darauf, dass die Polizei bei den Bädern auf Streife vorbeikommt, und vor vier Freibädern (Columbiabad, Insulaner, Prinzenbad und Sommerbad Pankow) eine „mobile Wache“ platziert wird. In die Bäder selbst trauen sich die Cops nicht, mit der Ausrede, dass es bei der „aktuellen Personallage“ nicht zu stemmen sei. Außerdem seien Polizisten laut der Gewerkschaft der Polizei (GdP) keine „Aushilfs-Bademeister“. Was sie nicht aussprechen ist, dass sie wissen, wenn sie direkt auf die Anlagen gehen würden, dann wären sie selbst das Ziel der Gewalt. Laut den Berliner Bäder-Betrieben sollen ebenfalls mehr Kameras installiert werden und auch mehr private Sicherheitsfirmen angestellt werden, die auf den Anlagen patrouillieren. Um diesem Wohlfühlambiente noch das letzte gewisse Etwas zu verleihen, sollen Ausweiskontrollen ab 14 Jahren (ohne Ausnahme) durchgeführt werden, um Personen mit Hausverbot schneller ausfindig zu machen. Eine Türpolitik, bei der die Berghain-Bouncer nur neidisch werden können. Eine weitere geplante Maßnahme soll sein, dass man nur mit einem personalisierten Ticket rein kommt, so wie es während des Ausnahmezustandes der Fall war.
Eine weitere absurde Forderung stellte eine Grünen-Politikerin auf. Laut ihr soll es Tage geben, an denen in die Freibäder nur Frauen rein dürfen. Das kann laut ihr zwar die akute Lage nicht lösen, soll aber eine „langfristig passende Maßnahme“ sein. Als Grundlage für diese Forderung nimmt sie den Fakt, das vor allem männliche Besucher an den Auseinandersetzungen beteiligt waren. Mal davon abgesehen, dass damit die Pseudotheorie über die angebliche minderwertige weibliche Natur bedient wird, und der kleinbürgerliche Standpunkt für einen „Kampf zwischen Mann und Frau“ hochgehalten wird, tragen solche sogenannten „Schutzräume“ kein Stück zur Emanzipation der Frau bei und an (den paar) Freibad-Schlägereien ändern sie auch nichts.
Wie wir sehen können, sind die Konsequenzen, die vor allem von den Herrschenden gefordert werden, in keinem Fall in unserem Interesse und unvereinbar mit diesem. Das, was sie wollen, ist die Spaltung unserer Klasse, und das Ausmaß reicht von „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ bis hin zum „Nur-Frauen-erlaubt-Tag“. Es geht ihnen darum, Zwietracht zu säen, wo es nur geht. Und es ist auch nach ihrem Geschmack, wenn wir uns immer mehr an den Anblick von Polizisten in unserem Alltag gewöhnen.
Es braucht viel mehr Gelegenheiten für Junge und Ältere, ihre Freizeit zu gestalten, und dabei auch mehr Platz. Es braucht eine fortschrittliche Kultur, die Anstand und Würde vermittelt, anstatt massenfeindliches Lumpentum zu glorifizieren. Den Spaltungsversuchen der Herrschenden müssen wir unsere Kollektivität entgegen stellen. Trotzdem werden derartige Schlägereien alsbald nicht zu existieren aufhören, und es ist wichtig, sie korrekt einzuordnen: Mitunter ist eine Dorfdisko oder ein Feuerwehrfest nicht minder von Gewalt geprägt als eine Freibad-Schlägerei.
Trotzdem sollte es nicht einfach so hingenommen werden, das solch sinnlose Kloppereien passieren. Besonders jetzt, wo viele Familien es sich nicht leisten können, in den Urlaub zu fahren, sind die Freibäder wichtige Orte in der Stadt, um sich überhaupt mal zu erholen. Und es gibt definitiv Entspannteres, als eine Massenschlägerei neben der Liege. Die Frustration unter den Leuten im Viertel ist nachvollziehbar. Vor allem, wenn die Bäder wegen so etwas für einige Tage geschlossen werden müssen. Das lumpenhafte Verhalten muss kritisiert werden und der kulturelle Einfluss des Imperialismus darf nicht zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Bei dieser Kritik muss jedoch ein Unterschied gemacht werden, denn die eigenen Leute wie einen Feind zu behandeln, heißt sich mit dem wirklichen Feind eins zumachen. Klar Stellung beziehen, dazwischen gehen und den Leuten klar machen, dass ihr Verhalten total unangebracht ist, ist aber durchaus eine Möglichkeit. Forderungen nach noch mehr Unterdrückungsmaßnahmen sind der falsche Weg. Wir brauchen nicht noch mehr Aushilfscops, Polizisten oder Sozialarbeiter in den Freibädern oder irgendwo sonst. Der Drang nach Rebellion ist gerechtfertigt, er sollte sich jedoch nicht gegen die Falschen richten. Wenn er es doch tut, dann sollten wir danach streben, das zu korrigieren.