Rote Post #76

Posted: September 30th, 2024 | Author: | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #76

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Kultur

Sind wir „des Geyers Schwarzer Haufen?“

Wir sind des Geyers Schwarzer Haufen ist ein sogenanntes Fahrtenlied (was Pfadfindergruppen und Ähnliche auf Reisen singen) aus dem Jahr 1920, das sich an den deutschen Bauernkrieg 1524/1525 anlehnt. Mehreren Quellen zufolge ist es im Umfeld der „Bündischen Jugend“, einer völkisch-nationalistischen Institution, in der die deutschen Monarchisten nach dem 1. Weltkrieg Jugendliche organisieren wollten, entstanden. Der Text ist an ein Gedicht des bayrischen Offiziers Heinrich von Reder angelehnt, die Melodie stammt vom Faschisten Fritz Sotke. Trotzdem wurde und wird es nicht nur unter Faschisten und ähnlichem Gesindel gesungen, sondern hat auch Verbreitung in der Arbeiterbewegung gefunden. In der DDR wurde es nach 1956, dem Jahr des Putsches der Revisionisten in der Sowjetunion, Teil des offiziellen Liedguts der Nationalen Volksarmee; die Rockband Commandantes, die viele alte Arbeiterlieder als Punkversionen gecovert hat, brachte auch eine Version des Lieds heraus. Deswegen wollen wir uns damit einmal etwas näher beschäftigen.

Wir sind des Geyers schwarze Haufen,
Hei a ho ho!
Und wollen mit Tyrannen raufen,
Hei a ho ho!
Spieß voran, drauf und dran,
Setzt aufs Klosterdach den roten Hahn!

Wir wolln‘s dem Herrn im Himmel klagen
Kyrieleis!
daß wir die Pfaffen nicht dürfen totschlagen
Kyrieleis!

[…]

Jetzt geht‘s auf Schloß, Abtei und Stift,
Heia hoho!
uns gilt nichts als die Heilge Schrift,
Heia hoho! […]“

Insgesamt 13 Strophen geht es so zu. Klar wird, dass sich das Lied gegen die Herrschaft des Adels (im Lied: „der Edelmann“) richtet und seine treuen Vertreter der katholischen Kirche, die man gerne niederbrennen will („den roten Hahn aufs Dach setzen“). Dafür ist es äußerst protestantisch – „es gilt nichts als die heilige Schrift“, „dem Herrn im Himmel“ ist man weiter Untertan.

Der deutsche Bauernkrieg war in den Worten von Karl Marx „die radikalste Tatsache der deutschen Geschichte“ und die größte bewaffnete Erhebung gegen den Feudalismus in Europa, bis zur Französischen Revolution. Doch wer war in diesem Rahmen der „schwarze Haufen“, und wer sein Anführer, Florian Geyer aus Giebelstadt? Geyer war selber ein Adeliger und stand als Reichsritter im Dienste des Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Ansbach. Geyer kämpfte im Bauernkrieg für eine auf Bauern- und Bürgertum gegründete Reichsreform, mit der Lehre Martin Luthers als moralischer Grundlage. Sein „Haufen“ hatte 100 bis 200 angeblich besonders starke und „kriegstüchtige“ Männer, alle in schwarzen Uniformen, die der Geyer selbst besorgt hatte. Verbündete „Haufen“ nannten sich unter anderem das „Evangelische Heer“. „Des Geyers Schwarzer Haufen“ stellte innerhalb des Bauernkriegs eher eine Besonderheit dar. Die Bauern kämpften für eine gerechtfertigte Sache unter einer rückschrittlichen Führung. Im Gegensatz zu Geyer stammten andere Bauernführer wie Jakob „Jäcklein“ Rohrbach, der für die Tötung des Grafen Ludwig von Helfenstein und seiner Begleiter vor den Toren der Stadt Weinsberg von ihm geführte aufständische Bauern bekannt wurde, aus der Bauernschaft, waren selbst Leibeigene gewesen, bzw. vereinten sich tatsächlich mit den Bauern. Geyers Kampf hingegen repräsentierte nicht den der Bauernschaft, sondern viel mehr den der Protestanten, deren theologisches Programm die Grundlage für die Denkweise der deutschen Bourgeoisie wurde, die den Feudalismus nie zu beenden wagte und sich stattdessen mit dem preußischem Adel gegen die Arbeiterklasse verbündete. Karl Marx sagte: „Luther hat allerdings die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft aus Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat den Menschen von der äußeren Religiosität befreit, weil er die Religiosität zum inneren Menschen gemacht hat. Er hat den Leib von der Kette emanzipiert, weil er das Herz an die Kette gelegt.“ Und genau diese „innere Knechtschaft“ zieht den typischen Untertangeist mit sich, einfach gesagt – nach oben buckeln, und nach unten treten. Eine Sache, die die Dichter dieses Liedes bestens verkörperten.

Was Martin Luther nämlich im Allgemeinen vom Bauernkrieg, von einer Revolution gegen den Feudalismus und den Adel hielt, legte er 1525 dar: „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern […] man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“ Typisch Luther. Und das war derjenige, den der Geyer verehrte.

Die Arbeiterklasse ist kein „schwarzer Haufen“. Genauso wenig die Bauern, um die es hier ja geht. Das Lied wurde in einer Zeit geschrieben, wo ganz klar war, was für „Haufen“ auf den Straßen mit schwarzen Uniformen rumliefen. Die „Schwarzhemden“ – das war der paramilitärische Arm der italienischen Faschisten, der die Arbeiter prügelnd und mordend durch das Land zog. Später gab es die British Union of Fascists, und die SA und SS in Deutschland. Dass gerade diesen das Lied als Kampflied diente, ist nicht überraschend.

Die Bauern machen heute immer noch den größten Teil der Weltbevölkerung aus, entsprechend ist es wichtig, dass es revolutionäre Kultur gibt, die sie zum Kampf ermutigt. Aber niemals können die armen Bauern, so wie es dieses Lied predigt, unter dem Schwert eines anderen Landherrren für ihre eigenen Interessen gegen andere Feudalherren in den Krieg ziehen, und können sich auch nicht darauf beschränken, eine Horde „Raufbolde“ zu sein – so sehr das auch Spaß machen kann. Revolutionäre Kultur muss die Bauern ermutigen, im Dienste der proletarischen Weltrevolution gegen den Imperialismus für ihre Befreiung zu kämpfen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Hymne der Liga der armen Bauern in Brasilien:

 

 


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