Klassenstandpunkt #13
Posted: Februar 1st, 2017 | Author: rotepresse | Filed under: Klassenstandpunkt | Kommentare deaktiviert für Klassenstandpunkt #13Die gesamte Ausgabe als Download
THEORIE
Einige Betrachtungen der aktuellen Klassenlage
Vor inzwischen fast zwei Jahren beschäftigten wir uns bereits schon einmal näher mit der Lage der Arbeiterklasse in der BRD und seiner verschärften Ausbeutung.1 Seit dem gab es einige Entwicklungen im internationalen und nationalen Klassenkampf, in der sich die Notwendigkeit einer korrekten Klassenanalyse immer wieder gezeigt hat, um nicht den Kurs zu verlieren. Wir können an dieser Stelle wieder bestätigen, dass es eine Aufgabe der künftigen rekonstituierten Kommunistischen Partei in diesem Land ist, eine vollständige Klassenanalyse anzufertigen. Doch es ist bereits jetzt genau so notwendig diese Analyse so weit es möglich ist zu beginnen, da sie die Voraussetzung ist für eine richtige und korrekte Massenarbeit.
Die Tendenz die vor zwei Jahren festzustellen war, dass sich die Ausbeutung der Arbeiterklasse in der BRD verschärft, ist grundlegend weiter bestehen geblieben. Zu diesem Thema hat die Bourgeoisie in letzter Zeit eine ganze Menge Statistiken und Berichte veröffentlicht, anhand derer sich dieses Bild zeichnen lässt. Allerdings selbstverständlich mit der Begrenzung, dass es sich eben um bürgerliche Statistiken handelt, die versuchen allerlei Dinge zu vertuschen und zu schönen.
Die Reihen wachsen
Das Proletariat in der BRD kann aufgrund des imperialistischen Charakters des Landes zu großen Teilen von den deutschen Imperialisten durch die Extraprofite bestochen werden, die sie sich durch die Ausbeutung und Unterdrückung der Länder der dritten Welt aneignen. Dennoch gibt es auch hierzulande eine große Schicht, die immer weiter verarmt. Beispielhaft dafür sind Jahr für Jahr die Ergebnisse des sogenannten „Armutsberichtes“ des paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Die hier aufgeführte „Armutsquote“ steigt seit 2006 in der Tendenz ständig weiter, auch wenn sie für das Jahr 2014 laut dem aktuellsten Bericht um 0,1 Prozentpunkt zurückgegangen ist. So ist sie zwischen 2006 und 2014 von 14,0 auf 15,4 Prozent gestiegen. Als arm gilt laut dem Bericht jede Person deren Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Dabei wird das gesamte Nettoeinkommen eines Haushalts gerechnet, inklusive Wohngeld, Kindergeld usw. Für einen Singlehaushalt ohne Kinder lag die Schwelle 2014 bei 917 Euro, für ein Paar mit zwei Kindern um die 2000 Euro (die Schwelle variiert hier mit dem Alter der Kinder).2 Was die „Armutsquote“ zeigt ist die statistische Spreizung zwischen oberen und unteren Einkommensschichten in der BRD. Dies zeigt, auch wenn die Arbeiterklasse und die Kleinbourgeoisie in der BRD durch die Extraprofite der Imperialisten zu einem großen Teil bestochen werden können, gibt es auch immer eine große Schicht innerhalb der Arbeiterklasse, die in diesem System auf der Regenseite steht und nicht im Luxus (oder kleinen Auszügen davon) schwelgen kann. Die Verschärfung des Widerspruchs Proletariat und Bourgeoisie steht auf der Tagesordnung. Dies zeigt sich auf der anderen Seite auch am Wirtschaftswachstum der BRD. Das Bruttoinlandsprodukt der BRD steigt seit 2009 jährlich weiter an, doch genauso die „Armutsquote“ in ihrer Tendenz. Für dieses Jahr wurde auch bereits ein steigendes Wirtschaftswachstum um 1,4 Prozent des BIP verkündet und auch die Bruttoverdienste sollen um 2,5 Prozent steigen, doch ist die Frage bei dieser Verkündung natürlich: Wessen Verdienste?3 Aber es ist auch möglich, dass es für den deutschen Imperialismus gerade „ganz gut läuft“ und er so mit kleinen Abgaben vom Extraprofit für „Ruhe“ im eigenen Hinterland sorgen möchte. Eine Sache für die unter anderem solche Maßnahmen, wie die Einführung des Mindestlohns exemplarisch sind. Allerdings zeigt sich auch hier, dass bei den untersten Schichten der Arbeiterklasse auch diese Maßnahmen geringen oder fast keinen Effekt haben. So zeigte sich erst kürzlich, dass z.B. bei den sogenannten Minijobs in fast der Hälfte der Fälle nicht der der festgelegte Mindestlohn und bei 20% sogar weniger als 5,50 Euro pro Stunde gezahlt wird. Die Zahl der sogenannten Minijobber beläuft sich in der BRD zur Zeit auf 7,4 Millionen Menschen, von denen fünf Millionen hauptberuflich einem Minijob nachgehen und nicht als Nebenjob.4 Aber auch im allgemeinen sind die durchschnittlichen Löhne eher niedrig, so arbeiten 20% aller Erwerbstätigen in der BRD für Löhne unter zehn Euro.5
Immer breitere Schichten der Arbeiterklasse in der BRD werden in den Ruin getrieben. Auch wenn Armut immer hauptsächlich als ein Problem von Arbeitslosen wahrgenommen wird, so gibt es eine zunehmende Schicht in der Arbeiterklasse, die trotz ihrer Beschäftigung nicht mehr in der Lage sind von ihrem Lohn zu leben, so bezogen Ende 2013 etwa „3,1 Millionen Erwerbstätige ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle“6, das ist ein Anstieg von 25 Prozent seit 2008. Auch gab es Mitte 2013 etwa 1,3 Millionen Erwerbstätige, oft als „Aufstocker“ bezeichnet, die ihre Verdienste mit staatlichen Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) erweitern. Diese Teile des Proletariats können trotz ihrer Arbeit nicht mal nach den Mindeststandards des bürgerlichen Staates leben. Von ihnen sind 218.000 Vollzeitbeschäftigte.7 Allerdings ist hier anzumerken, dass es einen großen Anteil an Menschen gibt, die ihren Anspruch auf Leistungen nach SGB II und XII nicht wahrnehmen, ihr Anteil soll bis zu 40 Prozent betragen, der Bericht spricht von hunderttausenden Menschen in der BRD.8 Markant hieran ist die Funktion der BRD, also des deutschen Staates, als Gesamtkapitalist, der mit diesen Maßnahmen unter anderem die Existenz der sogenannten Minijobs finanziert. Insgesamt gab es in der BRD im Jahre 2014 6,1 Millionen Personen, die Leistungen des SGB II als Hartz IV bezogen, was 7,5 Prozent der Wohnbevölkerung der BRD bedeutet. Insgesamt bezogen im gleichen Jahr 7,6 Millionen Personen Grundsicherungsleistungen, d. h. fast jeder Zehnte Einwohner der BRD. Das umfasst neben Hartz IV auch Bezüge zur Hilfe des Lebensunterhaltes, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Bezüge für Asylbewerber.9
Was bedeutet das? Hier sind eine Reihe von Faktoren zu sehen. Zum einen, dass die Reihen des Proletariats in der BRD weiter wachsen. Während die Reihen der Reservearmee des Kapitals, in Form der Arbeitslosen, seit Jahren immer kleiner wird und die Bezüge nach SGB II in der Tendenz zurück gehen, nimmt die „Armutsquote“ im gleichen Zeitraum tendenziell weiter zu. Das heißt immer mehr Menschen werden in die Reihen des Proletariats geschleudert, wo sie zu immer größeren Teilen in Bedingungen arbeiten müssen, die es ihnen nicht mal erlauben ein Leben oberhalb der Armutsgrenze zu führen.10 Die Rolle des deutschen Staates ist in dieser Beziehung eine zweifache. Zum einen sichert er dem Proletariat das, was Marx die physische Grenze des Werts der Arbeit nennt, d. h. die absolute Untergrenze an der die Arbeiter in der Lage sind sich zu erhalten und ihre Arbeitskraft zu reproduzieren, also jeden Tag zur Arbeit gehen können. Darüber hinaus sichert der Staat damit auch einen gewissen gesellschaftlichen Lebensstandard, der dem eines Landes entspricht und der der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse dient.11 Dieser gesellschaftliche Lebensstandard ist in den imperialistischen Ländern im Vergleich zu dem der Länder der dritten Welt relativ hoch, doch bricht er weg geht ein wichtiger sozialer Aspekt verloren. Das führt zur zweiten Rolle die der deutsche Staat in dieser Beziehung spielt. Durch diese „sozialen Sicherungssysteme“ wird die zunehmende Ausbeutung der Arbeiterklasse und ihre damit einhergehende Verelendung abgebremst. Dies zügelt den Drang der Massen zur unmittelbaren revolutionären Aktion und stärkt dem sogenannten „sozialen Frieden“ der Bourgeoisie den Rücken, macht ihn aber auch abhängig davon, inwieweit der Staat dazu in der Lage ist diese Maßnahmen im gleichen Rahmen aufrecht zu erhalten wie die Ausbeutung zunimmt.
Wie stark sich die Lage verschärft, und dass für Teile des Proletariats jeder weitere Schritt Richtung Abgrund den freien Fall bedeutetet, verdeutlichen einige andere Zahlen. 2013 brachte eine Umfrage folgende Ergebnisse: „379.000 der armutsgefährdeten Erwerbstätigen [konnten] 2013 ihre Miete nicht rechtzeitig bezahlen. 417.000 verzichteten auf angemessenes Heizen. Rund 538.000 sparten beim Essen, indem sie nur jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit zu sich nahmen.“12
Auch gibt es eine zunehmende Anzahl an Zwangsräumungen und Obdachlosen in der BRD, so steigerte sich die Zahl der Wohnungslosen von 2010 bis 2016 von 248.000 auf 335.000 Menschen13, die Zahl der Menschen ganz ohne Unterkunft in der BRD beträgt 40.000. Alleine im Jahr 2014 gab es 86.000 Wohnungsverluste. Davon waren 38 Prozent durch Zwangsräumungen verursacht und der Rest waren sogenannte „kalte“ Wohnungsverluste, bei denen die Mieter ausziehen bevor eine Zwangsräumung eingeleitet werden oder vollstreckt werden kann.14
Auch der Anteil an Menschen mit Schulden nimmt in der BRD seit 2011 weiter zu. Die sogenannte Schuldnerquote lag 2015 bei 9,9 Prozent, also fast jeder Zehnte über 18 Jahre ist überschuldet, das sind 6,7 Millionen Menschen.15 Dabei ist festzuhalten: „Nach Angaben des Statistischen Bundesamts verfügten 2014 61,8 Prozent der beratenen überschuldeten Personen in einem EinPersonen-Haushalt über ein monatliches Nettoeinkommen von unter 900 Euro. Damit lebten fast zwei Drittel der überschuldeten Alleinlebenden Personen, die eine Schuldnerberatung aufsuchten, unterhalb der Armutsschwelle.“16
Interessant dabei ist folgendes zu bemerken:
„Nach Schätzungen sollen monatlich mehr als 500.000 Kontopfändungen bei Banken eingehen. Bemerkenswert ist, dass der Anteil der öffentlichen Forderungen dabei bei über 50 Prozent liegen soll.“17
Der deutsche Staat tritt also vermehrt als Gläubiger gegenüber der Bevölkerung auf und führt Zwangsmaßnahmen auf finanzieller Ebene gegen sie durch. Auf die genaue Bedeutung dessen kommen wir bald zurück.
Mehr zu verlieren als nur Ketten
Abgesehen von der großen Masse an Proletariern in der BRD, die durch die Verschärfung der Krise des Imperialismus immer weiter in den Ruin getrieben werden, gibt es auch eine nicht zu ignorierende Schicht der Arbeiteraristokratie18 und der Kleinbourgeoisie, die noch erhebliche Privilegien besitzen. Doch diese sind keinesfalls in Stein gemeißelt, ganz im Gegenteil, für große Teile dieser Klassen stehen sie stark auf der Kippe. Ein Aspekt an dem das deutlich wird ist die Frage der Verschuldung. Teile der Arbeiteraristokratie und Kleinbourgeoisie sind in eine Situation gebracht worden, in der sie zwar klar kommen und ihre Privilegien irgendwie erhalten können, doch viele können dies nur durch die Aufnahme von Schulden. Die niedrige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat Kredite dafür sehr erschwinglich gemacht.
„Die genossenschaftliche Bankengruppe rechnet damit, im Geschäftsjahr 2016 Kredite in Höhe von insgesamt 523 Milliarden Euro an Privatkunden und Unternehmen zu vergeben. Das sind dem Verband zufolge 4,8 Prozent mehr als im Jahr zuvor. “Die Kreditnachfrage unserer Kunden bleibt hoch”, sagt Andreas Martin, Vorstand des BVR. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken haben derzeit 272 Milliarden Euro an Privatkunden verliehen und damit 4,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
[…]
Zwar läuft das Kreditgeschäft bei den VR-Banken zurzeit besonders gut, doch auch bei den Wettbewerbern hat es angezogen. Zahlen der Bundesbank zeigen, dass sich sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr mehr Geld bei den Banken leihen. Der Markt im Privatkundenbereich wuchs um 3,5 Prozent, bei den Firmenkunden sind es 2,1 Prozent. Genau das ist es, was die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer derzeitigen Nullzinspolitik erreichen möchte: dass Verbraucher und Unternehmen die Wirtschaft ankurbeln, indem sie Kredite aufnehmen.“19
Durch diese Maßnahme soll die private Konsumption angekurbelt werden, um die Inflation anzukurbeln (das gesetzte Ziel der EZB beträgt 2%), um das Schuldenproblem der EU zu lösen. Doch das führt zu einer weiteren Verschuldung der Haushalte. In der BRD besitzen knapp über 44 Prozent der Haushalte ihren Wohnsitz. Davon haben 16,5 Prozent noch Hypotheken auf ihren Wohnsitz offen. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern ist der Anteil der Haushalte, die ihren Wohnsitz besitzen, in der BRD am geringsten (nur Österreich und die Niederlande haben einen ähnliche niedrigen Anteil, liegen aber immer noch höher).20 Nun scheint es durch die niedrigen Zinsen zur Zeit günstig einen Kredit aufzunehmen und ein Haus zu kaufen oder zu bauen. Mitte letzten Jahres lagen die Zinsen für Hypothekenkredite knapp unter zwei Prozent. Kauft man dann ein Haus auf Kredit, zahlt man statt regulärer Miete halt monatliche Zinsen für das gekaufte Haus. Ein wesentlicher Unterschied zu konventioneller Miete besteht allerdings darin, dass man für einige Jahre (in der Regel mindestens zehn) daran gebunden ist.
Gewerkschaften mit sinkender Mitgliederzahl
Angst verpflichtet
Genau in dieser Bindung liegt eine wichtige materielle Grundlage für politisch reaktionäre Tendenzen der Arbeiteraristokratie und Schichten der Kleinbourgeoisie. Denn während man sich mit diesen Kreditabbezahlungen an das Finanzkapital bindet ist man auch angreifbar. Es ist vielleicht für diese Klassen und Schichten kein Problem die Kredite über diesen Zeitraum abzubezahlen, aber halt nur solange sie ihren Job, Position oder ähnliches nicht verlieren. Das heißt sie können keinen „Mist“ machen und riskieren diese zu verlieren. Sie sind materiell gezwungen noch bessere Sklaven des Systems zu sein, um ihre Privilegien zu verteidigen. Das ist der „soziale Frieden“, von dem die Bourgeoisie so gerne spricht. Was nichts anderes bedeutet als die Erhaltung des Status Quo. Der Wille diesen Status Quo zu erhalten und die eigenen Privilegien zu verteidigen führen zu einer verstärkten reaktionären Militanz der Kleinbourgeoisie und Arbeiteraristokratie. Auf einmal ist alles in Ordnung, um den Status Quo zu erhalten, mehr Überwachung, mehr Krieg nach Innen, mehr Krieg nach Außen, Angriffe auf alle, die man für eine Bedrohung des Status Quo hält (wie z.B. Flüchtlinge), einfach alles. Die Forderung nach einem „starken Staat“ wird von manchen bürgerlichen Politikern wieder auf die Tagesordnung gesetzt, wie es der Innenminister der BRD in der FAZ tat21, was nichts anderes heißt als eine Stärkung des Korporativismus und der faschistischen Tendenz des bürgerlichen Staates. Und diejenigen, die ihre Privilegien verteidigen wollen, können dieser Entwicklung als Fußtruppen dienen. Dabei geht es nicht darum was die liberale Bourgeoisie unter dem Motto „nicht die Terroristen gewinnen lassen“ zusammenfasst, was diverse deutsche Zeitungen in Variation abdruckten nach den Ereignissen von Berlin im Dezember letzten Jahres. Es geht darum den Status Quo zu erhalten und das heißt den zunehmenden Kampf der Völker der Welt zu unterdrücken, der eine gigantische Umwälzung bedeutet.
Gewerkschaften mit steigender Mitgliederzahl
Ähnlich verhält es sich mit Teilen der Arbeiterklasse. Über Jahre hinweg wurden sie immer weiter in den Ruin getrieben und ihre Bedingungen verschlechtert. Die Entwicklung der ökonomischen Situation der letzten Jahrzehnte haben wir teilweise auch schon im Klassenstandpunkt #5 dargestellt und analysiert, wie z.B., dass zwischen 2000 und 2010 eine große Anzahl an Menschen von den mittleren in die unteren Einkommensschichten gerutscht sind. Andere Faktoren wie die Verschlechterung der allgemeinen Arbeitsbedingungen, wie z.B. durch die Leiharbeit sind dabei weitere Faktoren. Diese Teile der Arbeiterklasse sind dadurch in eine Situation getrieben, in der sie gezwungen sind alles anzunehmen dem sie ausgesetzt werden, um zu überleben. In diesem Rahmen ist dann auch die o.g. Frage des deutschen Staates als Gläubiger zu betrachten. Mit seinen Forderungen verstärkt der deutsche Staat den Druck, der ausgeübt wird, und das Gefühl man müsse „die Füße still halten“, um nicht noch weiter abzurutschen.
Diese „Ängste“ der verschiedenen Klassen zeichnen sich auch deutlich in einer bedeutenden Stütze des deutschen Imperialismus ab, den Mitgliederzahlen der gelben Gewerkschaften. Beispielhaft seien hier die Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) angeführt, als größte und mächtigste Vertretung eben jener. Der DGB besteht insgesamt aus acht einzelnen Gewerkschaften für verschiedenen Wirtschaftszweige und Berufsarten. Von diesen acht Gewerkschaften haben in den letzten fünf Jahren nur drei einen Anstieg der Mitgliederzahlen verbuchen können: Die IG Metall, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Die IG Metall hat zwischen 2010 und 2015 jedes einzelne Jahr einen Anstieg der Mitgliedszahlen zu verbuchen gehabt. Da die hauptsächliche Vertretung der IG Metall sich auf gut ausgebildete Fachkräfte in der produzierenden Industrie erstreckt, zeigt sich hier deutlich die Angst der Arbeiteraristokratie vor Verlust ihrer Privilegien, was sie in die Arme der gelben Gewerkschaften, von der sie sich einen Schutz dieser Privilegien erhoffen, treibt. Auch die GEW hat innerhalb der letzten fünf Jahre jedes Jahr einen Anstieg der Mitgliederzahlen zu verbuchen, mit einem Anstieg von 7,8 Prozent zwischen 2010 und 2015 hat sie sogar den stärksten Anstieg an Mitgliedern. Auffällig bei der GEW ist der hohe Anteil an Beamten mit 41,7 Prozent. Dass auch die GdP in Zeiten der Verschärfung der sozialen Situation und der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft einen steigen Ansteige der Mitgliederzahlen aufweist, lassen wir hier als Randnotiz einmal so stehen. Die restlichen fünf, die ver.di, IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) haben sinkende Mitgliederzahlen unterschiedlichen Ausmaßes. Am stärksten sanken die Mitgliederzahlen zwischen 2010 und 2015 bei der EVG (15,2%) und der IG BAU (13,1%).22 Interessant hier ist allerdings, dass Gewerkschaften wie ver.di und NGG nicht in der Lage waren in den fünf Jahren ihre Mitgliederzahlen dauerhaft zu steigern, obwohl der Bereich dieser sogenannten Dienstleistungen inzwischen seit über zwei Jahrzehnten eine ständig steigende Anzahl an Arbeitern umfasst23 und gerade hier die Arbeitsbedingungen und Löhne mit die schlechtesten überhaupt sind. Ein Zeichen, dass große Teile der Massen ihr Vertrauen in die falschen Arbeiterfreunde zunehmend verlieren.
Krise, Organisation, Revolution
Das Hauptproblem bei der Lage der tiefsten und breitesten Massen ist allerdings nicht in erster Linie die Verschlechterung der ökonomischen Bedingungen der Arbeiterklasse, sondern das fehlende proletarische Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse in Deutschland und eine fehlende revolutionäre Organisation, also die Abwesenheit der Kommunistischen Partei, die ihre Kämpfe führen muss. Diese Umstände führen dazu, dass die Arbeiter zu einer ähnlichen Haltung getrieben werden wie die verängstigten Teile der Kleinbourgeoisie und Arbeiteraristokratie. Befeuert durch die alltägliche chauvinistische Propaganda und die Haltung, das alles nieder gehalten werden muss, was den Status Quo stört, in dem diese Teile der Arbeiterklasse immerhin noch überleben können und sich noch nicht im freien Fall befinden. Die Haltung einiger Kleinbürger, diese Massen aus diesen Gründen als grundlegend reaktionär und Stütze der zunehmenden faschistischen Tendenz in der BRD zu bezeichnen, ist grundlegend zurück zu weisen. Zum einen neigen sie aufgrund einer fehlerhaften Klassenanalyse oder -einschätzung dazu Proletariat und Lumpenproletariat zu vermischen, zum anderen ist das Problem hier nicht bei den Massen zu suchen, sondern bei uns, den Kommunisten, die als Vortrupp der Arbeiterklasse diese auch in die Lage versetzen müssen sich revolutionär zu organisieren und den Kampf gegen den deutschen Imperialismus aufzunehmen. Eine Aufgabe die dringend auf ihre Erledigung wartet.
Es wird deutlich, dass sich der Bedarf der Massen, vor allem der tiefsten und breitesten, in der imperialistischen BRD nach der Revolution weiter verstärkt. Der aktuelle Status Quo erhält den tiefsten und breitesten Massen eine Situation, in der sie noch überleben können, doch sie stehen direkt vor dem Abgrund und damit kurz vor dem freien Fall. Teile der Arbeiteraristokratie und Kleinbourgeoisie haben noch große Privilegien gegenüber ihnen, doch diese Privilegien sind stark bedroht und werden mit einer weiteren Verschärfung der Krise des imperialistischen Systems früher oder später verloren gehen, denn der Status Quo wird nicht ewig andauern. Marx analysierte dazu:
„Ihr alle wißt, daß die kapitalistische Produktion aus Gründen, die ich jetzt nicht auseinanderzusetzen brauche, sich in bestimmten periodischen Zyklen bewegt. Sie macht nacheinander den Zustand der Stille, wachsenden Belebung, Prosperität, Überproduktion, Krise und Stagnation durch. […] Während der Phase sinkender Marktpreise, ebenso wie während der Phasen der Krise und der Stagnation, ist der Arbeiter, falls er nicht überhaupt aufs Pflaster geworfen wird, einer Herabsetzung des Arbeitslohns gewärtig. Um nicht der Geprellte zu sein, muß er, selbst während eines solchen Sinkens der Marktpreise, mit dem Kapitalisten darüber markten, in welchem proportionellen Ausmaß eine Lohnsenkung notwendig geworden sei. Wenn er nicht bereits während der Prosperitätsphase, solange Extraprofite gemacht werden, für eine Lohnsteigerung kämpfte, so käme er im Durchschnitt eines industriellen Zyklus nicht einmal zu seinem Durchschnittslohn oder dem Wert seiner Arbeit. Es ist der Gipfel des Widersinns, zu verlangen, er solle, während sein Arbeitslohn notwendigerweise durch die ungünstigen Phasen des Zyklus beeinträchtigt wird, darauf verzichten, sich während der Prosperitätsphase schadlos zu halten. […] Der Sklave erhält eine ständige und fixe Menge zum Lebensunterhalt; der Lohnarbeiter erhält sie nicht. Er muß versuchen, sich in dem einen Fall eine Lohnsteigerung zu sichern, schon um in dem andern wenigstens für die Lohnsenkung entschädigt zu sein. Wollte er sich damit bescheiden, den Willen, die Machtsprüche des Kapitalisten als ein dauerndes ökonomisches Gesetz über sich ergehn zu lassen, so würde ihm alles Elend des Sklaven ohne die gesicherte Existenz des Sklaven zuteil.“24
Er kam darum zu der folgenden Schlussfolgerung:
„Gleichzeitig, und ganz unabhängig von der allgemeinen Fron, die das Lohnsystem einschließt, sollte die Arbeiterklasse die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, daß sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; daß sie zwar die Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert; daß sie Palliativmittel anwendet, die das Übel nicht kurieren. Sie sollte daher nicht ausschließlich in diesem unvermeidlichen Kleinkrieg aufgehen, der aus den nie enden wollenden Gewalttaten des Kapitals oder aus den Marktschwankungen unaufhörlich hervorgeht. Sie sollte begreifen, daß das gegenwärtige System bei all dem Elend, das es über sie verhängt, zugleich schwanger geht mit den materiellen Bedingungen und den gesellschaftlichen Formen, die für eine ökonomische Umgestaltung der Gesellschaft notwendig sind. Statt des konservativen Mottos: „Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!“, sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: „Nieder mit dem Lohnsystem!““25
In den zyklischen Krisen des Kapitalismus, heute in seiner imperialistischen Stufe, gehen Eroberungen der Arbeiterklasse und der Massen im allgemeinen verloren. Dies erzeugt wiederum die Notwendigkeit der Massen zu kämpfen, damit nicht noch mehr verloren geht. Am Ende heißt dies jedoch die Eroberung der Macht und den Sturz des imperialistischen Systems durch das Proletariat ,geführt von seiner Kommunistischen Partei. Eine Analyse, die die Kommunistische Partei Perus 1991 in einer bestimmten Situation auf ihr Land anwendete, die aber die prinzipielle Weiterführung der Analyse Marx’ ist:
„Das Proletariat und das arbeitende Volk müssen kämpfen, indem sie alle nötigen Mittel benutzen, besonders die Hauptform des ökonomischen Kampfes: den Streik. Wenn sie nicht kämpfen werden sie keine Lohnerhöhungen an sich reißen, auch nicht Arbeitsbedingungen, auch nicht dass der Acht-Stunden Tag respektiert wird. Behaltet immer im Kopf, dass das eroberte verloren geht, wenn die zyklischen Krisen die dem Kapitalismus eigen sind auftreten, deswegen ist was zu tun ist, diesen bösen Zyklus zu brechen, das kapitalistische System zu zerstören […]. Daher kommt die Notwendigkeit den Kampf um die Tagesforderungen mit dem Kampf um die Macht zu verknüpfen, da nur durch die Eroberung der Macht, ihre Ausübung und Verteidigung kann man das alte System verändern und ein neues System schaffen und entwickeln: Den Sozialismus, mit der Diktatur des Proletariats und dem Endziel Kommunismus, […] mit Volkskrieg; es gibt keinen anderen Weg.“26
Die kommende Krise wird die Arbeiteraristokratie und die Kleinbourgeoisie polarisieren. Einige werden zunehmend reaktionärer werden und sich zu den Sturmtruppen des Faschismus machen lassen, in dem Traum eines kleinbürgerlichen Paradieses der Ruhe vor den Klassenkämpfen in der Welt. Andere werden zu den proletarische Revolutionären kommen und kämpfen wollen, doch sie werden vor allem kämpfen, um zu verteidigen was sie schon haben. Doch sein Eigenheim oder seinen Monatslohn von 3000 Euro zu verteidigen ist nicht Revolution machen. Für die Kommunisten muss darum ihre Massenlinie immer klar vor den Augen sein, wenn die Situation sich verschärft. Sie müssen auf der Seite der tiefsten und breitesten Massen stehen, bei jenen, die nichts zu verlieren haben außer ihre Ketten. Sie können und dürfen sich nicht auf die Kleinbourgeoisie und die Arbeiteraristokratie stützen, das machen die unterschiedlichen Revisionisten schon. Die Revolution ist kein Kampf zur Verteidigung von Privilegien, sondern zur Eroberung der Macht.
1Siehe Klassenstandpunkt #5, „Armes Deutschland“
2Vgl. „Zeit zu handeln. Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2016“ von Deutscher paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V.
3Tagesschau.de, „Robust – trotz Trump und Brexit“, 25.01.2017
4 sz.de, „Millionen Minijobber werden mit illegalen Minigehältern abgespeist“, 30.01.2017
5sz.de, „Jeder Fünfte verdient weniger als zehn Euro pro Stunde“, 11.12.2016
6spiegel.de, „Mehr als drei Millionen Erwerbstätige von Armut bedroht“, 24.01.2015
7Spiegel.de, „Rund ein Drittel weniger Hartz IV Aufstocker in Vollzeit“, 31.01.2014
8Vgl. „Zeit zu handeln. Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2016“ von Deutscher paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V., S. 55
9Vgl. Deutscher paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V., „Zeit zu handeln. Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2016“, Februar 2016, S. 104
10 Die Frage des Fallens der Arbeiteraristokratie in die Reihen des Proletariats ist im Artikel im Klassenstandpunkt #5 näher dargestellt
11Vgl. Karl Marx, „Lohn, Preis, Profit“ im Abschnitt „14. Der Kampf zwischen Kapital und Arbeit und seine Resulate“
12spiegel.de, „Mehr als drei Millionen Erwerbstätige von Armut bedroht“, 24.01.2015
13Huffingtonpost.de, „‘Armut breitet sich aus’: Zahl der Obdachlosen in Deutschland drastisch gestiegen“, 05.12.2016
14Deutscher paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V., „Zeit zu handeln. Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2016“, Februar 2016, S. 84
15Creditreform.de, „SchuldnerAtlas Deutschland 2015“
16Deutscher paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V., „Zeit zu handeln. Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2016“, Februar 2016, S. 94
17Deutscher paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V., „Zeit zu handeln. Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2016“, Februar 2016, S. 96
18Um die Frage der Arbeiteraristokratie gibt er hierzulande oft Unklarheiten.Merx definierte sie bereits im Kapital: „Wirkung der Krise auf den bestbezahlten Teil der Arbeiterklasse“. Der bestbezahlte Teil ist die Aristokratie. Marx gibt auch ein Beispiel aus dem Osten Londons, wo es 15.000 Arbeiter in Not gab, davon waren 3000 geschickte Mechaniker, die die Arbeiteraristokratie bildeten. Lenin gab später die folgende Definition: „Es ist begreiflich, daß man aus solchem gigantischen Extraprofit (denn diesen Profit heimsen die Kapitalisten extra ein, über den Profit hinaus, den sie aus den Arbeitern ihres „eigenen“ Landes herauspressen. Die Arbeiterführer und die Oberschicht der Arbeiteraristokratie bestechen kann. Sie wird denn auch von den Kapitalisten der „fortgeschrittenen“ Länder bestochen – durch tausenderlei Methoden, direkte und indirekte, offene und versteckte.“ Er spricht also schon von Schichten innerhalb der Arbeiteraristokratie, was ganz offensichtlich etwas anderes ist als einige korrumpierte Beamte und Gewerkschaftsfunktionäre, wie es oft verfälscht wird.
19Sueddeutsche.de, „Das billige Geld wirkt“, 27.12.2016
20EZB, „The Household Finance and Consumption Survey: results from the second wave“, Dezember 2016
21Faz.net, „Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten“, 03.01.2017
22Für Mitgliedszahlen der DGB-Gewerkschaften vgl. dgb.de
23Vgl. Destatis, „Statistisches Jahrbuch 2016“, Oktober 2016
24Karl Marx, „Lohn Preis, Profit“ im Abschnitt „13. Die hauptsächlichsten Versuche, den Arbeitslohn zu heben oder seinem Sinken entgegen zu wirken“
25Karl Marx, „Lohn Preis, Profit“ im Abschnitt „14. Der Kampf zwischen Kapital und Arbeit und seine Resultate“
26KPP, „Mai Direktiven für das Lima Metropolitan Komitee“, Mai 1991