Rote Post #51

Posted: Juni 9th, 2022 | Author: | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #51

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NORDRHEIN-WESTFALEN

DIE ZEIT LÄUFT: ARBEITSKÄMPFE IM
GESUNDHEITSWESEN

Anfang des Jahres haben die Beschäftigten der sechs großen Unikliniken Nordrhein-Westfalens dem Land ein Ultimatum gestellt: 100 Tage hat der Arbeitskäufer Zeit, mit einem neuen Flächentarifvertrag für die tatsächliche Entlastung des Klinikpersonals zu sorgen. Sollte das Land dieser Forderung nicht nachgehen, dann muss es mit weiteren Streiks rechnen, in Anknüpfung zu den Warnstreiks im öffentlichen Dienst Ende letzten Jahres. Zusätzlich zu dem gestellten Ultimatum wurden beinahe 12.000 Unterschriften unter den Belegschaften der Unikliniken für den neuen Tarifvertrag gesammelt und im März den Vertretern der Landesregierung überreicht. Diese Zahl steht repräsentativ für etwa 63 Prozent aller Beschäftigten, die von dem geforderten Tarifvertrag betroffen sind. Es beteiligen sich nicht nur Krankenpfleger an der Forderung, sondern auch beispielsweise Reinigungs- und Küchenkräfte und Angestellte im technischen Bereich, die allesamt ebenfalls mit der fehlenden Entlastung zu kämpfen haben.

Die Forderung nach Entlastung der in den Kliniken beschäftigten Arbeiter wird immer wieder formuliert; Krankenpfleger haben kaum die Zeit, sich vernünftig um ihre Patienten zu kümmern, geschweige denn ihnen das Minimum an zwischenmenschlicher Fürsorge zukommen zu lassen, da das Pflegepersonal völlig unterbesetzt ist und die Kliniken überlastet sind. „Wir können auf den Intensivstationen kaum mit Angehörigen sprechen und eine angemessene Sterbebegleitung ist häufig auch nicht möglich. Das hat ein Intensivkrankenpfleger der Uniklinik Köln im Oktober letzten Jahres in einem Interview über den sogenannten „Pflege-Notstand“ dem WDR berichtet. Ein Zustand, der nicht nur die Belegschaft hart trifft, sondern genauso auch die Patienten darunter leiden lässt. Daher ist es im gemeinsamen Interesse von Klinikpersonal und Patienten, dass sich die Arbeitsbedingungen massiv verbessern, dass die Beschäftigten also besser entlohnt werden und auch weitaus mehr Personal eingestellt wird um die Arbeitslast zu senken. Dass die Kliniken maßlos unterbesetzt sind, dürfte kein Geheimnis sein. Durch die Einführung der Fallpauschale ist in der stationären Krankenpflege ein Defizit von 100.000 Vollzeitstellen entstanden, ohne die ein adäquater Personalschlüssel ein unerreichbarer Traum bleibt. Um ein Pro-Kopf-Verhältnis wie in Dänemark oder der Schweiz zu erreichen, fehlen hierzulande sogar ganze 160.000 bis 260.000 Vollzeitstellen. Irgendwelche Klinikmanager zählen jedes Reiskorn und alle Ausgaben pro Behandlung, ermitteln dann einen Durchschnitt der Kosten (also davon, was die Behandlung auch in Zukunft zu kosten hat) und stellen fest, dass durch weniger Personal, das sie bezahlen müssen, ihre Rechnung besser aufgeht. „Das Risiko schwerer und lebensbedrohlicher Komplikationen bis hin zum Versterben“ wird durch Unterbesetzung in Kauf genommen. Die Kliniken unterliegen ganz normalen betriebswirtschaftlichen Zielen und das auf Kosten des Personals und der Patienten. Unsere Gesundheit ist für sie nicht mehr als ein Jonglieren mit Zahlen. Die hohe Belastung der sowieso schon wenigen Pflegekräfte führt dann natürlich auch dazu, dass sich viele Kollegen krankmelden oder sogar komplett aus dem Beruf austreten, da sie irgendwann einfach an ihre Grenzen geraten.

Gerade mit der Covid-19-Pandemie wurde der marode Zustand dieses kaputt gesparten Gesundheitssystems immer deutlicher. Überfüllte Krankenhäuser und unterbesetzte Belegschaften, was kann da bloß schief gehen? Der Staat beweist jeden Tag aufs Neue, dass ihm unsere Gesundheit – sowohl die der Pflegearbeiter, als auch die der Patienten – kein Stück interessiert. Das Einzige, was ihm wichtig ist, ist es, unsere Ausbeutung zu garantieren. In diese Chronologie reihen sich dann so Geschichten ein wie die Schließung zweier Krankenhäuser im Essener Norden 2020, weil mit ihnen nicht genug Profit erwirtschaftet werden konnte. Während das Gesundheitssystem kaputtgespart wurde, kann die Bundesregierung 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr pumpen.

Vor diesem Hintergrund ist es also mehr als gerechtfertigt, dass sich das Klinikpersonal zusammenschließt und bessere Arbeitsbedingungen fordert. Die Inspiration für das Stellen eines Ultimatums kommt aus Berlin. Wie wir bereits in der 46. Ausgabe der Roten Post vom November 2021 berichtet haben, haben Beschäftigte von Vivantes und Charité dem Berliner Senat ebenfalls ein 100-Tage-Ultimatum gestellt und ebenfalls mit der Forderung nach Entlastung und besserer Bezahlung. Das Ultimatum lief ab und eine Antwort auf ihre Forderungen blieb aus, also entschied sich das Personal dazu, kurz vor den Wahlen in den Streik zu gehen. Der Arbeitskampf wurde durch ver.di organisiert und die Gewerkschaftsspitze hat den Streik wieder beendet, ohne aber überhaupt die Hauptforderungen durchgesetzt zu haben. Es wurde sich mit dem Versprechen begnügt, die festgelegten „Eckpunkte“ würden irgendwann schon, durch zukünftige Verhandlungen, ihren Weg in den Tarifvertrag finden. Das Ultimatum der Krankenpfleger in NRW wird zum 1. Mai hin abgelaufen sein. Es ist zum Redaktionsschluss daher noch unklar ob das Land die Forderungen erst einmal, ganz nach Berliner Vorbild, ignorieren wird und wartet, bis die Streiks tatsächlich beginnen, um sie dann zu diskreditieren und zu versuchen, Patienten und Pflegekräfte gegeneinander auszuspielen.

Im Rahmen der Tarif- und Besoldungsrunde im öffentlichen Dienst hat ver.di bereits im November letzten Jahres zu Warnstreiks aufgerufen. Dort kam es auch zu mehreren Streiks an den verschiedenen Unikliniken NRWs. Die Versorgung für Notfallpatienten wurde dabei aber immer sichergestellt. Die Streiks fanden jeweils unter Beteiligung mehrerer hundert Krankenpfleger und auch anderem Personal der Kliniken statt. Auf die falsche Annahme, Streiks an den Kliniken wären bedenklich für die Patienten, antwortet ein Radiologie-Assistent der Uniklinik Düsseldorf: „Der Normalzustand auf den Stationen ist fast noch gefährlicher, durch Überlastung, Dauerstress und immer wieder kurzfristige Ausfälle.“ Außerdem wird bei den Streiks stets die Versorgung von Notfallpatienten sichergestellt. Wer was anderes behauptet, versucht, die Beschäftigten und die Patienten gegeneinander auszuspielen, um so zu verschleiern, dass der Kampf in ihrem gemeinsamen Interesse stattfindet. Bei einem Streik an derselben Klinik trug das Pflegepersonal ein Banner mit der Aufschrift „Unterbezahlt – Keine Pausen – Dauerstress!“ (in Anlehnung an die Abkürzung der Uniklinik Düsseldorf UKD), was ihre Arbeitssituation gut auf den Punkt bringt. In einem Interview mit dem WDR berichtete eine der Streikenden der Aachener Uniklinik über die Lage als Auszubildende. Sie sagt: „Wir Auszubildenden werden seit der Pandemie als Vollzeitkräfte ausgenutzt. Und haben nicht einmal eine Corona-Prämie erhalten.“ Eine der Forderungen für die Tarifverhandlungen war dementsprechend auch eine speziell an die Auszubildenden gerichtete Lohnerhöhung.

Diese Warnstreiks haben bereits ausdrücklich gezeigt, dass das Pflegepersonal der Unikliniken kämpfen möchte, und es auch tut, um eine Verbesserung seiner Arbeitssituation zu erreichen. Umso härter war es, als bekannt wurde, dass die Tarifkommission ihre Forderungen nicht durchsetzt und sich statt der geforderten 5 Prozent, mindestens aber 150 Euro mehr im Monat mit 2,8 Prozent und einer Einmalzahlung in Höhe von 1300 Euro abgibt. Die ausgehandelten 2,8 Prozent Lohnerhöhung decken nicht einmal die Inflation. Ein fauler Kompromiss, der jedem ehrlichen Gewerkschafter schlecht aufstößt. Damit sich die Situation der Pflegekräfte wirklich verbessert und sie tatsächlich entlastet werden, müssen die Arbeitskämpfe zu Ende geführt werden. Die Gewerkschaftsbasis von ver.di ist bereit, zu kämpfen und beweist es mit dem Ultimatum einmal mehr, aber die Gewerkschaftsspitze bremst diese Kämpfe ab. Um die Ziele zu erreichen ist es notwendig, über die Köpfe der Gewerkschaftsspitze zu gehen und entschlossen weiter zu kämpfen.


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