Rote Post #75

Posted: September 30th, 2024 | Author: | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #75

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BRD

Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will

Die Streiks der vergangenen Monate in Deutschland brachten ein Ausmaß an Auseinandersetzungen, welches es in dieser Form seit vielen Jahren nicht gab. Sowohl die gestellten Forderungen, als auch das Ausmaß der Arbeitskampfmaßnahmen haben ein höheres Niveau erreicht. Dass die Arbeiterklasse es nicht einfach hinnimmt, dass die Folgen der Krise des deutschen Imperialismus auf ihre Schultern abgewälzt werden, ist durchaus positiv. Dass diese Forderungen gegen den klassenversöhnlerischen Kurs der Gewerkschaftsbürokratie durchgesetzt werden konnten, ist schon ein Gewinn. Diese Bewegung gibt es in ähnlicher Form auch bei den Bauernprotesten gegen die staatlichen Maßnahmen zu Gunsten der Monopole und zu Ungunsten der Landwirte. Immer wieder explodiert der Zorn der Jugend spontan in Kämpfen gegen die Polizei. Große Teile der Ausgebeutetsten und Unterdrücktesten erheben sich in Solidarität mit dem heldenhaften Kampf des Volkes Palästinas. In diesen Kämpfen erfahren diejenigen, die sich gegen den Staat wenden, nicht nur Hetze aus den bürgerlichen Medien gegen sich, sondern auch massive Repression, Unterdrückung und die Aufhebung grundlegender demokratischer Rechte. So drückt sich unter anderem die Verschärfung des Hauptwiderspruchs in der BRD aus, wovon der ökonomische Kampf ein bedeutender Teil ist.

Im Einzelhandel dauert der Arbeitskampf mittlerweile über ein Jahr an. Die Arbeitskäufer scheinen wenig kompromissbereit und die Gewerkschaft hat dank ihres Agierens einen äußerst niedrigen Organisationsgrad. Die Arbeitssituation im Einzelhandel ist besonders. Dort arbeiten besonders viele Frauen und diese arbeiten besonders häufig in Teilzeit. Warum, darüber schreiben wir in der Rubrik Frauen etwas ausführlicher. Ganze 60 Verhandlungsrunden stehen mittlerweile zu Buche, bei Forderungen die rund 2,50 Euro mehr pro Stunde entsprechen.

Bei der Deutschen Bahn ist unlängst ein längerer und intensiv geführter Arbeitskampf zu Ende gegangen. Die Gewerkschaft der Lokführer ist dabei über das gewohnte Maß an Streikmaßnahmen etwas hinaus gegangen und hat damit einen Sturm der Entrüstung bei Arbeitskäufern und auch staatlichen Institutionen ausgelöst. Durch das Tarifeinheitsgesetz wurde die GdL quasi in diese Situation gezwungen, in welcher sie in direkte Konkurrenz zur EVG, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, steht. Alleine aus Gründen des Selbsterhalts muss die GdL ihre Arbeitskampfmaßnahmen entsprechend offensiv gestalten, auch wenn das Ergebnis kaum den Erwartungen der meisten Bahner entspricht. Dieser Streik, der sich immer noch im Rahmen von Warnstreiks bewegte, hat jedoch gezeigt welche Macht in den Händen der Arbeiterklasse liegt. Ist sie organisiert, dann wird bei der Bahn „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ zur Realität. Massive Einschränkungen im Öffentlichen Personennahverkehr sind dabei nur das eine, viel relevanter sind die Beeinträchtigungen im Warentransport. DB Cargo ist eines der wichtigsten Monopole in diesem Bereich und die Streiks haben die empfindlichen in-time geplanten Lieferketten massiv gestört. So konnten innerhalb kürzester Zeit relativ hohe Schadenssummen durch den Arbeitskampf verursacht werden. Diese Machtposition war es schließlich auch, welche die Arbeitskäufer zum Einlenken zwang. Dabei ist besonders die Reduzierung der Arbeitszeit wichtig, denn die Arbeitskäufer können aus den Bahnern bei einer 35-Stunden-Woche deutlich weniger Profit herauspressen.

Auch die Arbeiter in der Luftsicherheit haben zuletzt mit ihren Streiks für größeres Aufsehen gesorgt. Auch in diesem Bereich zeigt sich die Angreifbarkeit eines Systems, welches auf minutengenaue Transporte angewiesen ist. Ver.di hat sich hier mit einer Schlichtung des Arbeitskampfes wieder einmal offen gegen die Interessen der Arbeiter gestellt.

Im sächsischen Espenhain streiken die Mitarbeitenden einer Recyclingfirma seit mehr als vier Monaten. Laut IG Metall ist das einer der längste Streik in der Geschichte Deutschlands. Weit mehr als einhundert Tage im Streik stehen die Arbeiter von SRW, einer Tochterfirma von „Scholz Recycling“ aus Baden-Württemberg, die 2016 von dem Unternehmen Chiho-Tiande aus China gekauft wurde, nun schon im Streik. Die Forderungen sind hier zunächst einmal ein Tarifvertrag, darüber hinaus acht Prozent mehr Lohn und eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden. Seit dem 8. November stehen die Arbeiter jetzt vor den Werkstoren und ein nahes Ende ist nicht in Sicht.

Die Streiks im Öffentlichen Personennahverkehr halten unvermindert an. Auch hier ist eine der Kernforderungen der Arbeiter einer Reduzierung der Arbeitszeit. Die Arbeitskäufer ihrerseits drängen auf eine Verlängerung der Arbeitszeiten. Dazu kommen Forderungen nach einer absoluten – für sage und schreibe drei Jahr andauernden – absoluten Friedenspflicht, was bedeuten würde, dass jede Streikmaßnahme in dieser Periode unmöglich wäre, auch wenn es sich dabei um Dinge handeln würde, welche noch nicht tarifvertraglich geregelt sind. Hier will die Seite der Arbeitskäufer für einen möglichst langen Zeitraum Ruhe erzwingen und auch wenn die Gewerkschaften zunächst eine klare Ablehnung nach außen hin zeigten, ist die Tendenz deutlich, dass insbesondere ver.di auf einen Abschluss drängt, der diese Friedenspflicht beinhaltet.

Auch bei der Postbank oder den Klinik-Ärzten gab es zuletzt Bewegung. Was sich dabei erneut zeigt ist, dass immer mehr Schichten, auch solche die innerhalb dieser Gesellschaft ökonomisch deutlich besser gestellt sind, in einen schärfer werdenden Widerspruch geraten. Die Grundlage dafür bildet die schwere ökonomische Krise des deutschen Imperialismus, welche seit Jahren anhält und absehbar anhalten wird. Die zuletzt veröffentlichten Prognosen zeigen mindestens ein weiteres Jahr Stagnation des Wirtschaftswachstums.

In dieser Krise tun der Staat und die Arbeitskäufer, nicht selten in Einheit mit den Gewerkschaften, was sie immer tun – sie versuchen die Lasten der Krise auf die Arbeiterklasse und andere Werktätige abzuschieben. Die Verletzlichkeit des System durch den Streik führte nun dazu, dass eine Kampagne gegen das ohnehin schon schwache und vielerorts zahnlose deutsche Streikrecht in Gang gesetzt wurde.

Forderungen nach einem schärferen Streikrecht gibt es unter anderem von der FDP. Gerade bei der anfälligen kritischen Infrastruktur wird Druck aufgebaut. Schlagworte wie die Wahrung der Verhältnismäßigkeit, maßlose Streikgier oder Geiselhaft werden ins Feld geführt. Von Seiten der Politik scheint klar: So kann es in Zukunft nicht weitergehen. Streiks, wie der der GdL, sollen in Zukunft unterbunden werden, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Auch Verkehrsminister Volker Wissing unterstützt diese Forderungen grundsätzlich. Auch die CSU macht sich für eine Einschränkung des Streikrechts stark. Auch hier im Fokus: kritische Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge.

Zu den aus Sicht der Herrschenden notwendigen Reformen gehörten Instrumente wie verpflichtende Schlichtungen, klare Mindestfristen für die Ankündigung eines Streiks und verpflichtende Vereinbarungen der Tarifparteien zur Mindestversorgung und von Notdiensten, sowie die Möglichkeit, Verhandlungsführer auszutauschen. Auch eine generelle Einschränkung des Streikrechts in „sensiblen Bereichen“ steht im Raum.

Hand in Hand gehen die bürgerlichen Politiker dabei natürlich mit den Arbeitskäufern. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, forderte den Gesetzgeber zum Handeln für ein klares, d.h. noch weiter kastriertes, Arbeitskampfrecht auf. Die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm blies ins gleiche Horn, denn die Streiks würden zunehmend die „Wettbewerbsfähigkeit belasten“.

 


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