Rote Post #80

Posted: Februar 17th, 2025 | Author: | Filed under: Rote Post | Kommentare deaktiviert für Rote Post #80

 

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NRW

„Palästina-Solidarität ist unsere Pflicht!“

Im Folgenden veröffentlichen wir ein Interview mit dem Komitee gegen das Verbot von „Palästinasolidarität Duisburg“ und einem Betroffenen dieses Verbots, um einen Beitrag gegen die Repression gegen die palästinasolidarischen Bewegung in Deutschland zu leisten.

Rote Post:

Hallo, könnt ihr euch bitte kurz vorstellen?


Sylvia Brennemann:

Das Komitee hat sich im Juni gegründet als Reaktion auf das Verbot von Palästinasolidarität Duisburg, um die von der Repression und dem Verbot Betroffenen zu unterstützen, deren politischen und juristischen Kampf zu supporten, Öffentlichkeit zu schaffen und Spenden zu sammeln.

Im Komitee sind Personen aus Duisburg, die seit Jahren politisch aktiv sind, unter anderem in antifaschistischen und sozialen Kämpfen, Gewerkschaften, Parteien und natürlich in internationalistischen Kämpfen, darunter auch für Palästina. Die meisten von uns hatten in der Vergangenheit mit PSDU allerdings gar nichts zu tun und sind erst nach dem Verbot mit den Betroffenen in Kontakt getreten.

Leon Wystrychowski:

Ich habe im Zeitraum ab Mai 2023 PSDU mitgegründet und war seitdem dort aktiv. Ich habe für die Gruppe Demonstrationen angemeldet, Reden gehalten, Interviews gegeben und wurde dafür vom Innenministerium zum Vorsitzenden von PSDU erklärt und war mit vier weiteren Personen von den Hausdurchsuchungen am 16. Mai betroffen. Gemeinsam mit allen weiteren Betroffenen habe ich gegen das Verbot und die damit einhergehende Repression geklagt.

Rote Post:

Was ist der Hauptvorwurf, den euch das NRW-Innenministerium und der Verfassungsschutz machen?
Leon:

Erstmal muss man verstehen, dass das Verbot fast ausschließlich politisch und nicht juristisch begründet ist, und dass das ganze Verbot groß politisch „geframed“1 wurde mit dem Vorwurf der „geistigen Unterstützung der Hamas“. Was nicht nur doof klingt, sondern auch kein Straftatbestand ist und ich nicht weiß, was es heißen soll jemanden „geistig zu unterstützen“. Weder haben wir sie finanziell unterstützt, noch für sie rekrutiert oder Werbung oder Propaganda für sie gemacht, noch hatten wir Kontakte.

Dieses „Framing“ war vor allem für die Öffentlichkeit und die Medien. Die haben das Wort „geistig“ weggelassen und daraus wurde dann in der Öffentlichkeit, dass wir Hamas-Unterstützer sind.


Im juristischen Sinne ist tatsächlich das Einzige, was man uns vorwirft, „verfassungsfeindlich“ zu sein, weil wir gegen das Prinzip der Völkerverständigung verstoßen hätten und damit gegen das Grundgesetz. Interessanterweise ist es so, dass es eigentlich gar nicht so leicht ist gegen die Völkerverständigung zu verstoßen, wenn man eine lokale Gruppe und keine Regierung ist. Gegen die Völkerverständigung verstößt man nämlich, insbesondere wenn man Waffen in Kriegsgebiete liefert oder Kriegsverbrechen und Völkermorde begeht oder unterstützt.

Uns wurde dieser Verstoß vorgeworfen, indem behauptet wurde, dass wir Zitat „Hass in das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern“ getragen hätten. Was angesichts von 100 Jahren Siedlerkolonialismus und 75 Jahren Apartheid natürlich völlig absurd ist.


Konkret wird das mit den üblichen Antisemitismusvorwürfen unterfüttert. Als antisemitisch wird unter anderem der Vorwurf des Genozids, der Apartheid, des Kolonialismus, aber auch die Forderung nach einem Rückkehrrecht der Palästinenser eingestuft. Vor allem auch unser Bekenntnis zum Recht der Palästinenser auf Widerstand in allen Formen wurde gegen uns angeführt.

Jeglicher Widerstand wird in der Verbotsverfügung als „terroristisch“ dargestellt. Selbst Organisationen, die in den 1967 besetzten Gebieten kämpfen und weder auf EU-Terrorlisten noch in Deutschland einem Verbot unterliegen, werden vom NRW-Innenministerium eigenmächtig als terroristisch eingestuft. Indem das NRW-Innenministerium das Rückkehrrecht und das Widerstandsrecht verleugnet, setzt es sich über geltendes Völkerrecht hinweg.

Rote Post:

Warum ist es eurer Meinung nach so wichtig den Kampf der unterdrückten Völker, vor allem des Volkes von Palästina zu unterstützen?

Leon:

Palästina ist einer der letzten westlichen Kolonien, wo die indigene Bevölkerung einen nationalen Befreiungskampf führt. Hier zeigt sich der westliche Imperialismus am offensten und das ist auch der Grund, warum dieser „Konflikt“ weltweit die Menschen in zwei Lager vereint, auf der einen Seite, die Mehrheit der Menschheit, die für Befreiung steht und auf der anderen Seite eine mächtige Minderheit, die ein Interesse an Ausbeutung und Unterdrückung hat.

Dazu kommt die Besonderheit, dass es sich in Palästina um eine besonders aggressive Form von Siedlerkolonialismus handelt und die Menschen vor der Entscheidung stehen, weitgehende Vertreibung oder Vernichtung der Indigenen versus nationale Befreiung.


Deutschland gehört, wie wir seit 11 Monaten gesehen haben zu den wichtigsten Unterstützern Israels und seiner Kolonial- und Vernichtungspolitik, deswegen ist es nur natürlich, dass viele Menschen hier empört sind und ihre Verantwortung darin sehen dieser Politik Einhalt zu gebieten und sich für die Rechte der Palästinenser einzusetzen, unabhängig davon, ob sie das aus moralischen, religiösen oder politischen Gründen, als Internationalisten oder einfach als Menschen tun.

Rote Post:

Wie ist es euch seit den Razzien ergangen, dürft ihr euch politisch noch betätigen? Was macht ihr dagegen?


Leon:

Das Verbot war auf jeden Fall ein massiver Eingriff in unser Recht auf Vereinigungsfreiheit und zugleich natürlich untrennbar ein Angriff auf unsere Meinungsfreiheit. Außerdem haben die Behörden das Verbot auf weitere Bereiche ausgeweitet. Mir zum Beispiel wurde die Teilnahme an mehreren Versammlungen verboten, eine Demonstration in Duisburg wurde verboten, weil die Anmelderin angeblich PSDU-nah war, ein weiterer Betroffener wurde auf der Arbeit suspendiert, nachdem der Staatsschutz an seinem Arbeitsplatz aufgetaucht ist.

Uns wurden massive private finanzielle Schäden zugefügt. Trotzdem haben wir natürlich unsere Grundrechte nicht verloren, egal was einzelne Polizeisprecher öffentlich behaupten oder was die Repressionsbehörden sich wünschen. Wir alle dürfen weiterhin politisch aktiv sein und uns auch organisieren.

Sylvia:

Gleichzeitig ist es natürlich so, dass gerade die organisierte Palästinaarbeit in Duisburg durch das Verbot in einen rechtlichen Graubereich gedrängt wurde. Jeder Organisation, die zu Palästina in Duisburg arbeiten möchte, droht der Vorwurf der „Nachfolgeorganisation“ und entsprechender Repressionen.

Deswegen ist das PSDU-Verbot bis zu einem gewissen Grad ein Palästina-Verbot für Duisburg. Weil wir das nicht akzeptieren können, gehen wir, das heißt Leon und Ahmed, unterstützt von uns als Komitee gegen dieses Verbot vor. Weil Duisburg ein Recht auf Palästinasolidarität hat und wir es als unsere Pflicht sehen.

Rote Post:

Wie sind die Aussichten auf eine Aufhebung des Verbots und was sind die Konsequenzen sollte das Verbot bestand haben?

Sylvia:

Die Verbotsverfügung ist, wie erwähnt, juristisch extrem dünn und noch dazu schlampig erarbeitet. Wir und die Anwältin sind überzeugt, dass das Verbot im Gegensatz zu PSDU nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist. Deswegen sind wir optimistisch, dass die Betroffenen das Verfahren gewinnen können.

Kurz zum Juristischen, das Hauptsacheverfahren wird mehrere Jahre dauern, deswegen wurde zugleich ein Eilverfahren angestoßen. Wenn dieses Eilverfahren gewonnen wird, würde das eine Re-Legalisierung bis zum Urteil im Hauptverfahren bedeuten und wäre ein großer Sieg für die gesamte Bewegung.

Dass das Innenministerium das Eilverfahren aktuell verschleppt sehen wir als Zeichen, dass sie sich darüber im Klaren sind, dass sie sich auf dünnem Eis bewegen. Falls das Eilverfahren, jedoch in allen Instanzen scheitert, ist fast sicher davon auszugehen, dass weitere Verbote gegen palästinasolidarische Gruppen folgen werden.

Das PSDU-Verbot, das ja ohne jeglichen strafrechtlichen Vorwurf auskommt und komplett politisch argumentiert ist, ist eine Blaupause, um nahezu alle pro-palästinensischen Gruppen in Deutschland zu verbieten. Darin liegt die Bedeutung für alle Aktiven in ganz Deutschland. Für Duisburg würde ein Verbotsbestand das oben erwähnte Palästina-Verbot auf unabsehbare Zeit festschreiben.

Rote Post:

Wie kann man euch unterstützen?


Zuallererst ist es wichtig die Palästinaarbeit weiterzumachen und sich nicht einschüchtern und spalten zulassen. Des Weiteren ist es wichtig Öffentlichkeit gegen das Verbot zu schaffen. Dazu kann man zum Beispiel das Komitee zu Versammlungen und Veranstaltungen einladen, die Inhalte des Komitees verbreiten, Spenden sammeln und politischen Druck auf der Straße machen. Weitere und aktuelle Informationen findet man auf der Seite des Komitees gegen das Verbot von PSDU:

https://www.psdu-verbot.info/

1 Framing ist eine Art, Informationen zu präsentieren, um die Wahrnehmung eines Themas zu beeinflussen. Dabei werden Aspekte hervorgehoben und andere ausgelassen, um die Sichtweise von Menschen zu verändern


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